Rachespiel
Schauspielerin werden.«
»Ja«, sagte Jo. »Das hat sie mir gesagt.«
»Wissen Sie, ich war auch alleinerziehende Mutter, aber ich wollte, dass Tara nur das Beste bekommt. Ich habe geknausert und gespart, damit ich sie auf die besten Schulen schicken konnte. Dort hat sie dann gesehen, was die anderen Mädchen hatten, hat von ihren Urlaubsreisen ins Ausland gehört, wurde in ihre großen Häuser eingeladen und wollte das alles natürlich auch. Verständlich, oder? Aber sie war auch sehr großzügig. Sie hätte Ihnen die Kleider an ihrem Leib geschenkt, wenn Sie sie darum beneidet hätten. So war meine Tara. Sie wollte nur alles immer auf der Stelle haben. Und weil die Männer sie so umschwärmt haben, hat sie es meistens auch bekommen. Mick war der einzige, der sie wirklich geliebt hat. Ich war am Rand der Verzweiflung, als er mir erzählte, was sich da abspielt – mit den anderen Männern, den Drogen. Also habe ich es mit liebevoller Strenge versucht. Ich dachte, das bringt sie zu mir zurück. Sie wird den absoluten Tiefpunkt erreichen und zurückkommen, habe ich mir gesagt. Wir haben uns immer sehr nahegestanden, wir beide. Wie Schwestern. Ich war selbst noch ein Teenager, als ich sie bekam. Deshalb war ich so strikt dagegen, dass sie ihn …« Sie warf einen Blick auf Presley.
»Er ist ihr so ähnlich, nicht wahr? Hat sogar ihre schwache Brust. Die Ärzte sagen, ihr Organismus hätte das Kokain verkraften können und hätte den Alkohol verkraften können, aber die Kombination von beidem war zu viel und hat den Herzinfarkt ausgelöst.«
Eine Träne lief über ihre Wange. »Ich habe solche Angst, dass sie nicht durchkommt.«
Jo nahm Gabriellas Hände. »Ich will, dass die Leute, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Aber dazu brauche ich Ihre Hilfe. Wer hat Presley entführt? Was ist wirklich passiert?«
»Wie gesagt, er war bei mir«, antwortete Gabriella, nahm ihre Handtasche und suchte nach einem Taschentuch.
»Hat Sie jemand bedroht?«
Gabriella sah erschrocken auf. »Nein.«
»Aber Presley?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
Jo warf sich gegen ihre Stuhllehne und strich sich die Haare aus der Stirn. »Sie waren es, die vorgestern Nacht diese DVD bei der Wache eingeworfen hat, stimmt’s? Sie haben die letzten Tage darum gekämpft, Ihre Tochter zu beschützen, und Tara wusste das.« Sie reichte Gabriella den von Tara beschriebenen Zettel. »Sie wollte, dass ich zu Ihnen komme, falls ihr oder Presley etwas passiert.«
Gabriella starrte Jo an, kreideweiß vor Schreck.
»Ich werde die Leute finden, die Tara das angetan haben, mit oder ohne Ihre Hilfe«, fuhr Jo fort. »Ich will Ihnen die Genugtuung verschaffen, sie vor Gericht zu sehen.«
Doch Gabriellas Gesicht spiegelte nichts als Furcht wider. »Um Himmels willen, wenn Sie Kinder haben, sagen Sie bloß so etwas nicht! Retten Sie sich, solange Sie noch können.«
50
Um kurz vor sechs traf Jo sich mit Aishling vor den Connolly Barracks in der Nähe des Bahnhofs Heuston Station, einem bekannten Treff von Straßenprostituierten, die an den dicht befahrenen Quais auf Kundenfang gingen. Die Kaserne war schon vor Jahren stillgelegt worden, und das Gebäude beherbergte nun das Naturhistorische Museum, auch bekannt als »der tote Zoo« wegen seiner umfangreichen Sammlung an ausgestopften Tieren.
Aishling stieg zu Jo ins Auto, rieb sich die Hände und pustete darauf, um sie zu wärmen. Sie hatte die vergangene Stunde damit zugebracht, die Frauen danach zu fragen, was sie über irgendwelche Drogendeals in der Ever-Oil-Tankstelle ein Stück weiter den Liffey hinauf wussten. Jo war beeindruckt von ihrer Eigeninitiative. Draußen schüttete es dermaßen, dass man nichts sah, wenn die Scheibenwischer nicht auf höchster Stufe arbeiteten.
Sie hatte unterwegs Kaffee besorgt und nahm nun einen der Styroporbecher aus der Papphalterung und reichte ihn Aishling. »Danke, dass Sie an dem Fall mit dranbleiben«, sagte sie, während die junge Polizistin die Kapuze ihres wasserdichten Anoraks abstreifte. Seit Presley gefunden worden war, hatte Jo keine offizielle Handhabe mehr, um die Mitarbeit anderer einzufordern.
»Schon gut«, antwortete Aishling und blies unter den Becherdeckel. »Wie gesagt, ich behalte sie gern ein bisschen im Auge.«
Sie deutete mit dem Kinn auf eine Frau, die vor dem Hotel gegenüber stand und unter der Markise über der Eingangstreppe Schutz suchte, während sie zu beiden Seiten dem vorbeirauschenden Verkehr
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