Rachespiel
nachsah. Sie trug glänzende schwarze Lackstiefel, die bis über die Knie reichten, einen kurzen Schottenrock, der ein ordentliches Stück weißen Oberschenkel hervorblitzen ließ, und eine rote Lederjacke. Ihre schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und hatten diesen elektrostatischen, fliegenden Look einer Perücke.
»Das ist Daisy«, sagte Aishling und wischte sich den Regen vom Gesicht. »Sie hat drei Kinder und eine Hypothek auf ein sehr hübsches Haus in Tyrrelstown. Vor der Wirtschaftskrise war sie Friseurin, wurde vor ein paar Jahren entlassen. Sieht nicht aus wie fünfundvierzig, oder?«
Jo schüttelte den Kopf. »Wie ist sie denn an diesen Platz hier gekommen, wenn sie noch relativ neu ist?«
»Sie hat zwei Töchter, die um die Ecke arbeiten«, erklärte Aishling. »Zusammen ist man stark.«
»Nehmen Sie Zucker?«, fragte Jo und bot ihr ein Tütchen an.
Aishling schüttelte den Kopf.
Jo beobachtete, wie Daisy sich die Handtasche über den Kopf hielt und auf einen Fiat Punto zurannte, der vor ihr am Straßenrand gebremst hatte.
»Das ist nur ihr Lude, Tom«, sagte Aishling. »Er ist ein gemeiner Dreckskerl. Wird sie fragen, was ich gewollt habe. Wir fahren besser weiter. Ich will ihr das Leben nicht noch schwerer machen.«
Jo fuhr um die Ecke.
»Das dort ist Arlene, ihre Älteste«, sagte Aishling, als Jo hielt. Das Mädchen, das etwa zehn Meter vor ihnen stand und die Hand in die Hüfte stemmte, war mit einem hautengen roten PVC-Overall bekleidet, ungeachtet der Tatsache, dass sie krankhaft fettleibig war. Ihr Schirm bedeckte gerade mal Kopf und Schultern.
»Meine Güte!«, entfuhr es Jo.
»Sie würden sich wundern, wie gut sie im Geschäft ist«, sagte Aishling. »Sie hat mehr zu tun als alle anderen zusammen.«
»Und was sind ihre Gründe?«, fragte Jo.
»Sie verdient deutlich mehr beim Anschaffen als in einem Sekretärinnenjob, kann ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen und, ob Sie es glauben oder nicht, hat Spaß dabei. Okay, drehen Sie sich jetzt nicht um, aber hinter uns steht ihre Schwester, Melissa. Sie ist ein Junkie und die reinste Landplage.«
Jo warf einen Blick in den Rückspiegel auf die Stabheuschrecke in Jeans und Bomberjacke. »Wusste eine von ihnen irgendwas Nützliches?«
»Schon, aber ich bin fünfzig Euro dabei losgeworden«, sagte Aishling bedrückt.
»Kein Problem.« Jo nahm ihr Portemonnaie und zog zwei Zwanziger und einen Zehner heraus. »Hier, bitte.«
Aishling nickte dankbar, faltete die Scheine zusammen und steckte sie in die Tasche ihrer Jeans. »Offenbar ging es bei dem Streit in der Tankstelle um Schutzgeld, das Hassan sich zu zahlen weigerte. Deshalb der Radau an dem Abend, als Presley verschwand.«
Jo zog überrascht die Augenbrauen hoch, während sie an ihrem Kaffee nippte. »Haben Sie einen Namen bekommen?«
»Daisy hat einen Skinhead namens Henry erwähnt, der dort reinging und Stunk machte. Henry ist ein Vollstrecker für die Gang, die sich von Barry Roberts’ Gruppe abgespalten hat, nachdem Roberts Anfang des Jahres Joey Lambert in dem McDonald’s getötet hatte.«
»Henry!«, wiederholte Jo und verschluckte sich fast an ihrem Kaffee. »Das sieht Oakley ähnlich, den Namen falsch zu schreiben. Er hat ihn als ›Henly‹ in die Datei eingegeben, und ich dachte, das ist irgend so ein feiner Pinkel, der mit Charles Fitzmaurice in Verbindung steht.«
Sie kicherten.
»Hat Roberts irgendwelche Aktien in der Tankstelle?«
»Interessant, dass Sie fragen«, sagte Aishling.
»Erzählen Sie«, forderte Jo sie auf.
»Okay, Sie wissen doch, dass alle Fernlaster die City umfahren müssen, seit der Hafentunnel eröffnet wurde?«
Jo zog die Nase kraus und versuchte zu erraten, worauf das hinauslief. »Ja?«
»Also, ein Trucker, der Daisy Geld schuldet, kommt trotzdem zum Tanken immer dorthin. Sie ist neulich schreiend wie ein Derwisch da reingegangen und hat zu Hassan gesagt, dass sie ihn anzeigt, woraufhin Hassan sie gewarnt hat, dass sein Laden unter dem Schutz von Barry Roberts steht und sie sich da raushalten soll.«
»Kein Wunder, dass die Überwachungsanlage vom Feinsten ist«, bemerkte Jo.
»Aber das Beste kommt noch«, fuhr Aishling fort. »Erinnern Sie sich an die drei Junkies, die letztes Jahr auf der Straße gestorben sind, weil jemand ihren Stoff mit Rattengift versetzt hatte?«
Jo nickte.
»Das war kein Versehen«, sagte Aishling. »Der King hat den Stoff vergiftet, weil sie ihm Geld schuldeten. Die Mädchen hassen ihn
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