Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
… Haste nicht gesehen! Dolly Parton, go home. Aber sie war nicht besonders entgegenkommend.«
»Was hast du ihr denn gesagt?«
»Na, das Übliche eben. Dass ich Journalist bin und einen Beitrag über die Bordelle der Stadt mache und mich erkundigen wollte, wie es ihr damit geht, als Prostituierte zu arbeiten.«
Cecilies Sarkasmus war zuckersüß.
»Das ist wirklich sonderbar, dass sie da nicht mit dir sprechen wollte.«
Holger kratzte sich am Kopf und schüttelte den Kopf.
»Ja, oder? Fand ich auch.«
»Vielleicht hättest du um eine Kostprobe bitten sollen«, schlug Davidsen vor.
»Sie hätte mich doch wenigstens reinbitten und mir eine Preisliste oder so was Ähnliches geben können.«
Dicte hörte dem Gespräch eine Weile zu, dann verabschiedete sie sich und verließ, die Tasche über die Schulter geworfen, die Redaktion. Wahrscheinlich würde sie ebenso unmissverständlich abgewiesen werden wie Holger, obwohl sie der Ansicht war, wesentlich diplomatischer vorgehen zu können. Aber zumindest war sie gezwungen, es zu versuchen.
Sie sah auf die Uhr. Kurz vor 10 Uhr, war das zu früh? Zwar konnte sie es sich nicht vorstellen, dass um die Zeit schon Kunden unterwegs waren, aber unter Umständen weckte sie jemanden. Aber sie hatte ohnehin nicht vor, das zu berücksichtigen. Deshalb betrat sie, ohne zu zögern, das Gebäude und klingelte an der besagten Tür. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie Schritte aus der Wohnung hörte und die Tür geöffnet wurde. Auch hier mit Sicherheitskette.
»Wenn Sie was verkaufen wollen … hier bestimmt nicht.«
Die Frau im Türspalt war zwar freundlich, wirkte aber misstrauisch. In ihrem Blick konnte Dicte lesen, dass sie in ihrem Leben schon zu oft reingelegt worden war und dass ihr das nie wieder passieren sollte.
»Ich verkaufe nichts.«
»Sind Sie von den Zeugen Jehovas?«
Dicte musste lächeln.
»War ich mal. Aber das ist lange her.«
Diese Frau, die ihren unerwarteten Besuch jetzt mit mehr Interesse betrachtete, war so weit von Dolly Parton entfernt, wie es nur ging. Ihr Haar war zwar gefärbt – sie trug es pechschwarz und ganz kurzgeschnitten –, und unter dem T-Shirt zeichneten sich ein Paar Brüste ab, die zu perfekt aussahen. Aber ihre ganze Erscheinung hatte nichts Babydollartiges. Vor ihr stand eine erwachsene, reife Frau mit vorsichtiger Neugierde in den Augen.
»Ist es denn möglich? Ich meine, da rauszukommen?«, fragte sie.
»Es hat seinen Preis.«
Die Frau nickte nachdenklich.
»Hat das nicht alles auf dieser Welt? … Sind wir uns schon einmal begegnet?«
Dicte schüttelte den Kopf. Was für eine Rolle spielte diese Frau im Leben ihres Sohnes? Sie war sich auf einmal ganz sicher, dass die beiden einander kannten.
»Ich bin auf der Suche nach jemandem«, sagte sie und vermied das Wort »Journalist«. »Nach meinem Sohn. Er heißt Peter Boutrup. Ich glaube, Sie kennen ihn.«
»Sind Sie von der Polizei?«
»Nein.«
»Journalistin?«
»Ja, aber das hat hiermit nichts zu tun … Hören Sie … Er benötigt meine Hilfe. Ich weiß, dass er sie gar nicht haben will, aber könnten Sie ihm bitte ausrichten, wenn Sie ihn sehen, dass ich ihm helfen kann?«
Im Treppenhaus waren Schritte zu hören. Ein Mann mit schweren Schritten kämpfte sich schnaufend die Stufen hoch. Der Gesichtsausdruck der Bordellbesitzerin bekam plötzlich einen formellen und geschäftsmäßigen Zug. Die Neugier war wie weggewischt.
»Ich muss jetzt arbeiten. Sie müssen gehen.«
»Würden Sie ihm das bitte ausrichten?«
»Gehen Sie jetzt. Ich kenne ihn nicht.«
»Ich kann Ihnen ein Foto zeigen.«
»Nicht notwendig.«
Die Schritte hatten fast ihren Treppenabsatz erreicht.
»Hier, nehmen Sie meine Karte.«
Dicte zog eine Visitenkarte aus der Tasche. Die Frau zögerte, griff dann aber danach und drückte die Tür zu. Eine Sekunde lang stand Dicte reglos davor. Dann machte sie sich auf den Weg nach unten und ging an einem keuchenden Mann vorbei, derdringend ein paar Kilo abnehmen sollte. Sie wusste, dass sie ihn von irgendwoher kannte, konnte ihn aber nicht sofort zuordnen. Erst als sie unten auf der Straße stand, fiel es ihr wieder ein. An seinen Namen konnte sie sich zwar nicht erinnern, aber er war ein bedeutendes Mitglied der Opposition im Stadtrat, Fraktionsvorsitzender oder etwas in der Richtung.
KAPITEL 47
»Spenden. Fondsgelder. Zuschüsse unterschiedlicher Herkunft, kommunaler und staatlicher. Es ist schwer, weil wir so wenige sind.«
Wagner hörte
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