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Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt

Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt

Titel: Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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aufmerksam zu. Das konnte er in der Regel sehr gut, aber an diesem Tag fiel es ihm besonders schwer. Trotzdem bemühte er sich.
    Seiner Meinung nach war es eine Kunst, zuzuhören. Ein guter Zuhörer besaß die Fähigkeit, zu inspirieren. Ein guter Zuhörer warf ab und zu eine Frage ein, zum einen, um eine Antwort zu beschleunigen, aber auch, um zu signalisieren, dass man sich an dem Gespräch beteiligte und interessiert war.
    »Wie viele Menschen leiden an dieser Krankheit?«
    »Sie ist ziemlich selten«, antwortete der zweite Vorstandsvorsitzende, Anders Jeppesen, der nur Träger der Krankheit war, aber nicht selbst daran erkrankt. Hauptberuflich war er Vizedirektor der kürzlich kollabierten Århusianischen Bank, die mit zwei anderen Geldhäusern fusioniert wurde. »Wenn alle, die daran erkranken, leben würden, könnten wir in Dänemark von etwa dreitausend Menschen mit einem Alpha-1-Antitrypsin- Mangel ausgehen. Zurzeit gibt es siebenhundert gemeldete Erkrankte. Was ziemlich vielüber die Überlebenschancen aussagt.«
    Wagner musste unweigerlich an das Lied von den zehn kleinen Negerlein denken.
    »In so einer kleinen Organisation kennt man sich gegenseitig doch bestimmt ganz gut«, ergriff Jan Hansen das Wort. »KönnenSie uns etwas über Adda Boel erzählen? Wie war sie als Mensch? War die Zusammenarbeit mit ihr angenehm? Hatte sie Feinde?«
    Wagners Gedanken schweiften ab, nachdem Hansen übernommen hatte. Sie kreisten um Alexander, der die Schule schwänzte und sich in der Stadt herumtrieb. Alexander, der vor kurzem noch ein kleiner Junge gewesen und jetzt auf einmal so unerreichbar war. Er wusste nicht, was er tun sollte, war sich aber gleichzeitig sicher, dass er gerade einen entscheidenden Fehler beging.
    Anders Jeppesen war ein Engagierter, das war nicht zu übersehen. Er hatte ihnen erzählt, dass seine Frau ebenfalls Trägerin des Gens war und eines ihrer drei Kinder, die sechzehnjährige Tochter, die Diagnose bekommen hatte. Ihr zuliebe arbeitete er aktiv in der Organisation mit. Die Familie wohnte in einem relativ neuen Einfamilienhaus in Risskov, auf der richtigen Seite des Strandvejens. An den Wänden hing moderne, wahrscheinlich ziemlich teure Kunst, wie Wagner feststellte, die großen Panoramafenster boten einen schönen Blick auf einen noch größeren Garten; Designermöbel überall und eine offene, schwarzweiß gehaltene Küche, in der sie vor einer Tasse Espresso saßen, die von einer gigantischen Kaffeemaschine hergestellt worden war, die einem Roboter aus einem Science-Fiction-Film glich und wahrscheinlich über ähnlich viele Funktionen verfügte. Und in der Garage war Wagners Blick auf einen Passat neueren Modells gefallen, der nicht wie sein eigener über sechs Jahre auf dem Buckel hatte.
    »Adda war ein Arbeitstier«, erzählte Anders Jeppesen. »Sie war unablässig unterwegs, auch noch, als sie die Krankheit immer mehr geschwächt hat. In ihren Augen war Lobbyarbeit das Wichtigste, dass die Öffentlichkeit mehr darüber erfuhr. Und sie wollte langfristige Pläne, Investitionen in die Forschung und so. Sie war auch unsere Repräsentantin in der Dachorganisation ›Seltene Krankheiten‹.«
    »War sie denn beliebt?«, fragte Wagner. »Kannten Sie sich auch privat?«
    Anders Jeppesen schüttelte den Kopf, nahm einen Schluck Espresso und setzte das winzige Tässchen zurück auf die Untertasse.
    »Natürlich war sie beliebt, aber das war ja nicht ihr Ziel, sie wollte etwas bewegen. Privat hatten wir keinen Kontakt. Wir kamen, wenn ich das so sagen darf, aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen.«
    »Könnten Sie das ein bisschen ausführen?«
    »Ich glaube, sie stammt aus eher unterprivilegierten Verhältnissen. Keine nennenswerte Ausbildung, aber ein Gespür für Vereinsarbeit. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie aus einer zerrissenen und dysfunktionalen Familie kam. Das war ihr anzumerken.«
    Wagner hörte den Hauch von Anspannung in der Stimme des Vizevorstands. Er sah die Problematik bildlich vor sich. Eine Organisation, deren Mitglieder aus allen Gesellschaftsschichten stammten, die nur eine Sache miteinander verband: dass ihre Gene auf eine ganz bestimmte Weise zusammengesetzt waren.
    »Darf man davon ausgehen, dass es in Ihrer Organisation unterschiedliche Interessensgruppen gegeben hat?«
    Anders Jeppesen sah skeptisch aus.
    »Theoretisch kann man das natürlich so sagen, dass es unterschiedliche Interessen gab, weil hier Menschen mit unterschiedlichen Lebensgeschichten

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