Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
mehr so niedlich wie früher …«
Sie sah auf.
»Das ist mein größtes Verbrechen. Nicht das mit Jonas. Er durfte seinen Frieden finden. Aber das andere. Er war vor kurzem bei mir …«
Cato, dachte Dicte. Der kleine, magere Junge mit den langen Armen.
»Ja?«
»Ich hatte ihn all die Jahre nicht gesehen. Nicht seit diesem Tag.«
»Und der Einbruch, die Bomben?«, fragte Dicte. »Die Geschichten über Sie in der Zeitung? War das alles er? War er damals Zeuge, als sie Jonas getötet haben?«
Francesca bestätigte alle Fragen mit einem Kopfnicken. Dicte beugte sich vor.
»Wo ist er jetzt?«
»Auf einem Rachefeldzug.«
»Und wo genau? Für was will er sich rächen? An wem will er sich rächen?«
»An William, glaube ich. Zuerst an mir. Dann an ihm. Ihm gilt die Rache noch viel mehr als mir. Vielleicht sind auch noch andere dran. Es gab einen Arzt, der ins Titan kam und beteiligt war. Und einen Mitarbeiter, der Williams verlängerter Arm war.«
»Können Sie mir etwas über William erzählen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das muss er selbst tun, wenn er es noch kann. Aber ich kann Ihnen sagen, wo er wohnt. Und wenn Sie ihn vor Cato finden, dann kann ich Ihnen eine Sache versprechen: Sie werden eine Geschichte zu hören bekommen, die Sie so noch nie gehört haben.«
KAPITEL 73
»Natürlich kann ich mich an sie erinnern. Aber sie war nur eine Figur im Hintergrund, ich habe seitdem keinen Gedanken an sie verschwendet.«
Sie hielten gegenüber vom Bahnhof in Lystrup und stiegen aus. Peter B knallte die Tür mit Nachdruck zu.
»Cato war ständig bei ihr, aber wir anderen hatten nichts mit ihr zu tun.«
Dicte überprüfte die Hausnummern.
»Das ist da drüben, auf der anderen Straßenseite.«
Sie liefen quer über die Straße und gingen auf ein gelbes, zweistöckiges Backsteingebäude zu.
»Francesca Olsen hatte also nichts mit dem Betrieb im ›Titan‹ zu tun?«
Peter B blieb vor der Eingangstür stehen.
»Hier ist es. Sein Name muss hier irgendwo stehen … Nein, sie hatte damit überhaupt nichts zu tun.«
»Du musst das doch mitbekommen haben, dass sie für den Posten der Bürgermeisterin kandidiert? Du wusstest auch, dass ihr Auto in die Luft gesprengt wurde. Du musst doch eine Verbindung gesehen haben. Warum hast du nichts gesagt?«
Sie hörte den Vorwurf in ihrer Stimme. Er hatte ihr nur kleine Brocken seiner Wahrheit hingeworfen, aber genauso viel zurückgehalten. Wie sollte sie ihm vertrauen können? Aber er zuckte nur mit den Schultern.
»Was hätte das für einen Unterschied gemacht? Die Leute glauben nur das, was sie glauben
wollen
, und sie sehen auch nur das, was sie sehen
wollen
. Über mich war schon von vornherein ein Urteil gefällt worden, und das hat noch Bestand.«
Er fuhr mit dem Finger die Klingelschilder ab und drehte sich dann zu ihr um.
»Es gab Gerüchte, dass er sie geschlagen haben soll. Sie lief oft mit Sonnenbrillen rum. Aber sie war nur ein Schatten in unserem Leben, ohne jede Bedeutung für mich. Wollen wir klingeln?«
Dicte nickte.
Sie sah, wie er tief Luft holte. Die Leichtigkeit in seinem Tonfall klang aufgesetzt, aber da konnte sie sich nicht sicher sein. Vielleicht aber lag die Angst der Vergangenheit darunter und brodelte.
»Wahrscheinlich ist er einfach ein alter Mann«, sagte er.
Er klingelte. Keine Reaktion. Er klingelte ein zweites Mal, wieder keine Reaktion. Dann ließ er seinen Blick erneut über die Klingelschilder gleiten und betätigte einen anderen Knopf. Wenige Augenblicke später ertönte die Stimme einer älteren Frau durch die Gegensprechanlage.
»Wer ist das?«
»Hier ist die Post«, antwortete er. »Ich habe ein Päckchen für Villy Andersen. Wenn Sie so freundlich wären und mir aufmachten, dann spart er sich den Weg zur Post, um es abzuholen.«
»Darüber wird er sich aber freuen«, sagte die Frau. »Sie können es ihm ja einfach auf die Fußmatte legen.«
»Haben Sie vielen Dank!«
Der Türöffner summte, und er stieß die Tür auf. Sie gingen in den 2. Stock hoch, Dicte hatte die Befürchtung, dass die Frau jeden Augenblick aus lauter Neugier im Treppenhaus erscheinen würde, aber nichts dergleichen geschah. Bei Villy Andersen Wohnungstür angekommen, klingelten sie ein drittes Mal. Aber auch dieses Mal blieb alles still. Sie drückte die Türklinke herunter, die Tür ging auf. Sie betraten einen Ort des Chaos.
»Verdammte Scheiße!«
Das hier sah nicht aus wie in einem zerstörten Solarium. Hier war keine Bombe explodiert, und
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