Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
zerstört.
Asbjørns Arme schlangen sich um ihre Taille und hielten sie fest. Ohne ihn, dachte sie, wäre ich jetzt wahrscheinlich ins Schleudern geraten. Sie starrte auf die Titelseite und fühlte sich auf einmal krank, bis auf die Knochen, so krank, als würde etwas sie von innen verzehren und dabei mit den weniger lebenswichtigen Regionen beginnen, so dass der Schmerz exponentiell anstieg. Das hier war nur der Anfang, das wusste sie.
»Wo haben die denn diese Story her?«
Sie legte die Zeitung auf den Küchentisch und setzte Wasser auf.
»Das weiß ich nicht. Vielleicht von Mai?«
»Aber wie haben sie die ausfindig gemacht? Sie hat sich doch bestimmt nicht selbst an die Presse gewandt? Um zu erzählen, dass sie eine Sozialbetrügerin ist?«
Sie stellte Kaffeebecher auf den Tisch. Er hatte natürlich recht. Jemand musste diesem Journalisten den Hinweis gesteckt haben. Wie hieß der noch? Sie schlug die Zeitung erneut auf. JimmiBrandt. Das war der Reporter gewesen, der sie am Abend nach der Haushaltsdebatte vor dem Rathaus abgefangen hatte, mit seinem selbstgefälligen Grinsen und dem Vergewaltigungsopfer im Schlepptau.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Da scheint es irgendjemand da draußen auf dich abgesehen zu haben.«
Für einen kurzen Augenblick spürte sie die Sehnsucht, ihm von der Mail vom Tag des Einbruchs zu erzählen. Aber das würde bedeuten, dass sie ihm alles erzählen müsste, damit es einen Sinn ergab. Und das konnte sie nicht. Dieser Gedanke kam ihr nicht einmal in den Sinn.
Behutsam forderte sie ihn auf, zu gehen. Sie sah ihm nach, wie er sich aufs Fahrrad schwang und davonsauste. Würde er ihr nächstes Geheimnis sein, das sie auf der Titelseite breitgetreten sehen würde? Oder wurde er noch zurückgehalten, als schweres Geschütz, wenn die Zeit für den eigentlichen Angriff gekommen war?
Sie griff nach dem Telefon, um den Fraktionsvorsitzenden anzurufen. Es war besetzt. Während sie wartete, um es erneut zu versuchen, tauchte plötzlich das Bild eines kleinen Jungen aus längst vergangener Zeit auf. Dunkelhaarig, mit durchdringenden braunen Augen, die sie mit einer Mischung aus Angst und Liebe verschlangen. Unersättlich. Dünne Arme, die sich an sie klammerten. Tränen, die in alle Richtungen spritzten, als hätte jemand einen Springbrunnen angeschaltet.
»Axel Andreasen«, meldete sich eine Stimme, nachdem sie die Bilder beiseitegedrängt und auf die Wiederwahltaste gedrückt hatte.
»Ja, ich bin es.«
Der Vorsitzende seufzte laut.
»Francesca. Was sagst du dazu?«
Sie erzählte ihm die Wahrheit oder zumindest so viel von der Wahrheit, wie sie ihm zugestand, und erhielt die erwartete Reaktion.
»Das ist ja alles ganz schön und gut. Das können wir prima verwenden, um intern für Ruhe zu sorgen. Aber was machen wir mit der Presse? Was schlägst du vor, wie wollen wir da vorgehen? Gibt es Fotos? Irgendeine Form der Dokumentation?«
»Nicht soweit ich weiß.«
»Aber im Artikel steht ja sogar, dass du es zugibst. Du bist gezwungen, den Sachverhalt auszuführen und dich zu erklären. Gib der
Stiften
ein Interview, vielleicht auch noch der
Jyllands-Posten
. Du solltest noch mal betonen, wie lange es her ist und dass du daraus deine Lehren gezogen hast … Damit können sich die Leute identifizieren. Du musst vielleicht sogar noch weitergehen und irgendetwas für diese Mai tun, was weiß ich, irgendetwas, was sich gut macht.«
Wenn sie Axel Andreasen nicht kennen würde, hätte sie gedacht, dass er so ein Perverser wäre, der am Telefon fremden Frauen ins Ohr stöhnt. Wie ein Blasebalg klangen seine Atemzüge.
»Was schlägst du denn vor?«
»Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit«, sagte sie. »Und die wiederhole ich gerne und häufig. Aber du wirst mich nicht zu einer Gegenüberstellung mit Mai bringen.«
Sie musste an Williams Uhr denken. »Sie tat mir damals leid. Und ja, ich war naiv und dumm. Und jung.«
Sie hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme.
»Ich habe nichts zu verbergen, was meine Wähler nicht erfahren dürfen.«
KAPITEL 21
Der Besitzer des Sonnenstudios, Matti Jørgensen, wohnte zusammen mit seiner Frau Inger-Kirstine in einem alten Haus, das auf einem Grundstück irgendwo zwischen Odder und Hov stand. »Inger-Kirstine Fashion« stand auf einem Schild am Wegesrand. »Lagerverkauf von Markenwaren. 30–50 %. Keine Kartenzahlung möglich.«
Auf dem Feld hinter dem Haus fand gerade eine Rallye mit getunten, verbeulten Autos statt, die zwar schon eindeutig
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