Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
Vom Netzwerk:
einen
ab - da kann er niemals widerstehen -, dreht sich um und wirft einen Blick in
den dämmerigen Himmel. Über den Alpen liegt eine Wolkendecke. Der Eiszapfen
tropft ihm in den Ärmel.
    Sie öffnet in seinem Rücken
die Tür.
    »Hallo, äh, Entschuldigung,
ich bin zu spät dran«, sagt er, und dann auf Deutsch: »Entschuldigen Sie, ich
habe nur gerade die Aussicht bewundert.«
    »Kommen Sie herein«, sagt sie.
»Aber den Eiszapfen dürfen Sie bitte draußen lassen.«
    Die Beleuchtung im Wohnzimmer
kommt von Deckenstrahlern, die Säulen aus Staub in die Luft schneiden. Auf
einem Kaffeetischchen aus Ebenholz sind ein überfüllter Aschenbecher und eine
Mondlandschaft aus Ringen von übergelaufenen heißen Bechern zu erkennen. Von
den Wänden grinsen hinterhältig afrikanische Kriegsmasken. Die Regale sind
voller Bücher, wie ein Altersheim, dessen Leitung jeden neuen Bewerber abweisen
muss, denkt Arthur. Der ganze Raum riecht schwer nach Tabak, nach Krankenhaus
auch.
    Gerda Erzbergers Haare sind
jetzt kurz und weiß, und als sie unter der Deckenbeleuchtung langgeht,
schimmert die Kopfhaut durch. Sie ist hochgewachsen und trägt eine lange
Strickjacke, die ihr um den Hals schlackert wie eine ausgeleierte Socke. Statt
einer Hose trägt sie die untere Hälfte eines Flanellschlafanzugs und an den
Füßen Schaffellschlappen. Beim Blick darauf fällt Arthur wieder ein, dass es
kalt ist; er fröstelt.
    »Was möchten Sie trinken? Ich
habe Tee.«
    »Tee ist genau richtig.«
    »Gehe ich recht in der
Annahme«, fragt sie, auf halbem Weg in die Küche, »dass Sie meinen Nachruf
schreiben?«
    Ertappt. »Ach«, sagt er,
»wieso? Wie kommen Sie darauf?«
    »Was soll es denn sonst
werden? Sie sagten am Telefon, Sie schreiben ein Porträt.« Sie verschwindet in
der Küche und kommt eine Minute später mit einem dampfenden Becher für ihn
zurück. Sie stellt ihn auf das Kaffeetischchen, deutet auf einen schwarzen
Ledersessel und setzt sich auf das dazu passende Sofa, das wider Erwarten nicht
kuschelig unter ihr nachgibt, sondern die Form wahrt und sie wie auf Händen
trägt. Sie greift nach der Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug auf dem
Tischchen.
    »Ja, na ja, schon«, räumt
Arthur ein. »Es ist dafür. Für einen Nachruf. Klingt das sehr schlimm?«
    »Nein, nein. Das höre ich
sogar gern. So weiß ich wenigstens, dass der dann korrekt ist - denn hinterher
kann ich ja wohl kaum einen Leserbrief schreiben und mich beschweren, nicht
wahr?« Sie muss husten und hält sich die Zigarettenschachtel vor den Mund. Dann
steckt sie sich eine an. »Sie auch?«
    Er winkt ab.
    Ein Rauchfädchen gleitet ihr
aus dem Mund, ihr Brustkorb hebt sich, und flugs ist das Fädchen wieder nach
innen verschwunden. »Ihr Deutsch ist ausgezeichnet.«
    »Ich habe als Teenager sechs
Jahre in Berlin gelebt. Mein Vater war da Korrespondent.«
    »Ja, richtig, Sie sind der
Sohn von R. P. Gopal, nicht wahr?«
    »Bin ich.«
    »Und Sie schreiben Nachrufe?«
    »In erster Linie, ja.«
    »Sie haben sich mit allen
Mitteln nach unten durchgearbeitet, was?« Er antwortet mit einem höflichen
Lächeln. Dass er bei einer internationalen Zeitung in Rom arbeitet, verschafft
ihm normalerweise ziemlich Respekt - jedenfalls so lange, bis die Leute
erfahren, was er da schreibt.
    Sie redet weiter. »Ich mochte
die Bücher Ihres Vaters gern. Wie hieß noch das mit >Elefant< im Titel?«
Sie dreht sich zum Bücherregal.
    »Ja«, sagt Arthur, »er war ein
brillanter Schreiber.«
    »Und schreiben Sie auch so gut
wie er?«
    »Nein, leider nicht.« Er
schlürft seinen Tee und packt Notizblock und Rekorder aus.
    Sie drückt die Zigarette in
den Aschenbecher und knibbelt mit den Fingern an den Lederfaden ihrer
Schlappen. »Noch Tee?«
    »Nein, vielen Dank.« Er
schaltet den Rekorder ein und befragt sie nach den Anfängen ihrer Karriere.
    Sie gibt ungeduldig Auskunft.
»Sie sollten mich nach anderen Sachen fragen.«
    »Ich weiß, das sind
Banalitäten. Ich muss nur ein paar Fakten bestätigen.«
    »Das steht doch alles in
meinen Büchern.«
    »Ja, sicher. Ich will nur -«
    »Fragen Sie, was Sie wollen.«
    Er hält ihre Memoiren hoch.
»Ich habe die übrigens mit Vergnügen gelesen.«
    »Tatsächlich?« Ihr Gesicht
hellt sich auf, sie zieht hastig an ihrer Zigarette. »Tut mir leid, dass Sie
sich durch das langweilige Zeug quälen mussten.«
    »Es war nicht langweilig.«
    »Mich langweilt es. Das
Problem hat man immer, nehme ich an, wenn man ein Buch über sich selbst
schreibt. Wenn man

Weitere Kostenlose Bücher