Rachmann, Tom
Er geht vor die Haustür.
Die Luft ist eisig.
Gerda Erzberger bleibt
rauchend auf dem Ledersofa sitzen, sie schnappt Gesprächsfetzen auf, versteht
sie aber nicht. Plötzlich hört er auf zu murmeln, aber er kommt nicht wieder
hinein. Sie drückt die Zigarette aus, zündet eine neue an, reißt die Haustür
auf. »Was ist denn los? Sie telefonieren doch gar nicht mehr. Was wollen Sie denn
hier draußen? Bringen wir das Interview jetzt hinter uns oder nicht?«
»Wo ist meine Tasche?«
»Was?«
Er läuft an ihr vorbei ins
Wohnzimmer. »Wissen Sie, wo meine Tasche ist?«
»Nein. Wieso? Wollen Sie
gehen? Was machen Sie denn?«, schreit sie hinter ihm her. Er zieht nicht mal
die Haustür hinter sich zu.
Die nächsten Tage kommt Arthur
nicht in die Zeitung. Bald wissen alle, warum. Kathleen kondoliert per Telefon.
»Kommen Sie erst wieder, wenn Sie innerlich bereit sind.«
Nach ein paar Wochen fangen die Kollegen an zu murren.
»Eigentlich egal, ob der da ist oder nicht«, sagen sie. »Rätsel-Brezel machen ja inzwischen Volontäre.«
»Und zwar besser.«
»Der hat ja immer sehr früh
Feierabend gemacht. Ich meine, tut mir wirklich leid für den armen Kerl. Aber
weißt du was? Das ist schon ziemlich überzogen. Findest du nicht? Wie lange ist
der denn jetzt noch weg?«
In diesen Wochen wird
Nachrichtenchef Craig Menzies zu Arthurs treuestem Verbündeten. Er wirbt um
Verständnis für ihn, findet, die Zeitung solle Arthur so lange in Ruhe lassen,
wie er das braucht. Aber nach zwei Monaten teilt Miss Buchhaltung Arthur mit,
er habe im neuen Jahr wieder anzutreten, sonst sei er seine Stelle los.
Um seine Rückkehr ins Büro
etwas zu erleichtern, solle Arthur doch zur Weihnachtsfeier kommen, schlägt Menzies
vor - da könne er auf relativ schmerzlose Weise alle auf einmal wiedersehen. Zu
dieser Feier gehören immer gewaltige Mengen an Alkohol, Prahlerei und Geflirte,
womit der Rest der Belegschaft so beschäftigt sein wird, dass sich kaum jemand
groß um ihn scheren dürfte.
Menzies holt Arthur und Visantha
persönlich vor dem Gebäude ab und fährt mit ihnen zusammen hoch. Natürlich
rennen sie direkt in eine Gruppe Kollegen.
»Arthur. Hallo.«
»Da bist du ja wieder.«
»Arthur, Mensch, echt schön, dich zu sehen.« Niemand
klingt froh; alle wirken jäh ernüchtert. Menzies greift ein: »Wo gibt's noch
gleich die Freigetränke?« Und zieht Arthur und Visantha fürsorglich weg. Immer
wieder kommen Redaktionskollegen auf Arthur zu, immer wieder erzählen sie ihm,
wie schön es doch sei, ihn zu sehen. Die ganz Kühnen sprechen ihn auf die lange
Abwesenheit an, aber er winkt sofort ab: »Darüber möchte ich nicht reden.
Entschuldigung. Und wie läuft's hier so? Dasselbe wie immer?«
Im hintersten Winkel des Newsrooms
steht in einem Berg von Geschenken, die in leuchtend rotes Papier gewickelt
und mit Goldbändern verziert sind, ein Tannenbaum. Kinder laufen zu ihm
hinüber, um ihr Geschenk abzuholen, und rütteln an kleinen Schachteln, die sie
noch nicht öffnen dürfen - es ist Tradition in der Zeitung, dass die Kinder der
Mitarbeiter zu Weihnachten Geschenke bekommen. Menzies und Arthur hatten
schlicht vergessen, dass auf dem Fest auch Kinder sein würden, aber beiden wird
es jetzt schmerzhaft bewusst. Menzies stellt sich sofort vor Arthur und Visantha,
reckt sich hoch und redet extra laut, es soll eine Barriere gegen den Anblick
und die Stimmen der Kleinen in der Ecke sein.
Clint Oakley umkreist Arthur, Visantha
und Menzies in großem Abstand, beobachtet sie und nippt an einem randvollen
Glas Bowle. Als sich Visantha und Menzies auf den Weg machen, um etwas vom
Büfett zu holen, stürzt er sich auf Arthur. »Schön, dich zu sehen, Kumpel!« Er
klatscht ihm so auf die Schulter, dass Bowle auf den dreckigen Teppichboden
schwappt. »Beehrst du uns jetzt wieder mit deiner vollen Anwesenheit, oder wird
das hier ein One-Night-Stand? Du fehlst uns, Mann. Du musst unbedingt
wiederkommen. Rätsel-Brezel kommt ohne dich kaum klar. Wie
lange bist du eigentlich jetzt weg?« Er quasselt weiter in seiner
Presslufthammermanier auf Arthur ein und lässt ihm keine Chance für eine
Antwort.
»Ganz schön nett von uns, dass
wir dich hier reinlassen und du dich mit unserm Schnaps volllaufen lassen
darfst. Na? Toll von uns, nicht? Meine Gören haben ihre Weihnachtsgeschenke
gekriegt. Ganz netter Schrott dabei. Hab's mir zeigen lassen. Wollte mal sehen,
wie knauserig der Ott-Konzern ist. Ist aber gar nicht übel, der
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