Rachmann, Tom
sagen.«
In der Wartezone für den
Flieger zurück nach Rom schreibt er alles auf, was er von Gerda Erzberger in
Erinnerung hat. An Bord arbeitet er weiter, zu Hause sucht er sich einen Platz,
an dem er ungestört ist. Es gibt nur einen, Pickles früheres Zimmer. Er setzt
sich auf ihr Bett und hackt bis vier Uhr morgens auf seinen Laptop ein, mit
Whisky, um sich am Laufen zu halten - ein alter Trick seines Vaters. Am
nächsten Tag ist er noch spät abends in der Redaktion und sammelt
Hintergrundinformationen über Gerda Erzberger. Ihre Bücher stapeln sich an der
Tischkante, alle können sehen, wie er sich anstrengt. Kathleen geht vorbei,
sieht es auch.
Die Gerda Erzberger, die sie
in ihren eigenen Werken porträtiert, ist moralisch unerschrocken, kompromisslos
gegenüber dem Zeitgeschmack, liebenswert, ja anregend. In der persönlichen
Begegnung war davon nur wenig zu spüren. Aber Arthur hält sich beim Schreiben
des Nachrufs an die Frau aus den Memoiren, die fiktive Gerda, und lässt die
Frau, die er kennengelernt hat, unerwähnt. So wird das gewünscht. Damit der
Text nach Sachkenntnis klingt, baut er den Zusatz ein: »... sagte sie in
mehreren Gesprächen kurz vor ihrem Tode.« Er geht ihn immer wieder durch, bis
er nichts mehr zu ergänzen findet. Er liest ihn laut, in Pickles früherem
Zimmer. Er hat sich jetzt einmal richtig Mühe gegeben. Der Text ist fast so gut
wie das, was sein Vater einst abgeliefert hätte. Er mailt ihn direkt an
Kathleen, an Clint vorbei. Das ist nicht korrekt, und sie sagt ihm das auch,
als er in ihrem Büro steht. Arthur erklärt: »Ich dachte mir, Sie haben das
bessere Händchen fürs Redigieren. Ich wollte niemandem auf die Füße treten.
Aber wenn Sie vielleicht einen Blick draufwerfen könnten, das wäre toll. Wenn
nicht oder wenn das unangemessen ist, kein Problem, natürlich.«
Sie liest den Nachruf
tatsächlich und ist beeindruckt. »Wenn Gerda stirbt«, sagt sie, »bringen wir
ihn, genau so. In voller Länge, wenn irgend möglich. Das ist genau die Art
Schreibe, von der wir mehr brauchen. Das ist eine eigene Stimme. Da hat jemand
was zu sagen. Wirklich toll. Sie haben sie perfekt getroffen. Sagen Sie Clint,
er soll Ihnen anständig Platz dafür geben. Okay? Und falls es irgendwie Ärger
gibt, sagen Sie, das kommt von mir.«
Er nutzt die Gelegenheit,
Kathleen noch andere Storys vorzuschlagen - keine Nachrufe, allgemeine
Reportagen. Sie hat nichts dagegen, und er schreibt sie, wann immer er kann. Er
behält auch das Procedere bei und schickt sie direkt an Kathleen, nicht dass
sie sie unbedingt redigieren solle, er würde nur, wie er dazuschreibt,
»wirklich gern Ihre Meinung hören, wenn Sie einen Moment Zeit hätten«. Erst
wenn sie ein Stück von ihm gelesen hat und begeistert ist, schickt er es an
Clint, mit der Bemerkung: »KS hat redigiert«. Damit darf Clint kein Wort
antasten.
Nach und nach macht Arthur
Pickles früheres Zimmer zu seinem Arbeitszimmer. Das heißt, er nennt es sein
Arbeitszimmer. Visantha nicht.
Eines Abends guckt er von
seinen Notizen hoch. »Hallo. Was gibt's?«
»Bist du beschäftigt?«, fragt
sie. »Ziemlich. Was ist denn?«
»Dann komme ich später noch
mal. Ich will dich nicht unterbrechen.«
»Was ist los?«
»Nichts. Ich wollte nur mal
reden.«
»Über was?« Er knipst die
Schreibtischlampe aus. Er sitzt im Dunkeln. Sie ist ein Schattenriss in der
Tür. »Ich kann darüber nicht reden.«
»Ich habe gar nicht gesagt,
worüber.«
»Ich bin hier fertig für heute
Abend.«
»Mit meinem Alter«, sagt sie,
»bin ich schon ziemlich an der Grenze. Falls wir's noch mal probieren wollen.«
»Ich habe heute, glaube ich,
ziemlich was geschafft.«
»Es ist ja nur wegen des
Alters. Ich meinte ja nur.«
»Nein, nein«, er steht auf,
»das kann ich nicht ... Nee, das würde ich nicht ertragen. Ich bin hier fertig.
Für heute Abend.« Er geht auf sie zu, berührt ihre Schultern. Sie geht auf
seine Geste ein und wartet auf eine Umarmung. Aber er schiebt sie nur sanft zur
Seite und geht an ihr vorbei.
Am nächsten Tag ist ein
Kubaner gestorben, der behauptete, 126 Jahre alt zu sein. Kein Mensch glaubt
das, aber die Seite neun muss voll werden. Arthur bekommt den Auftrag, schnell
siebzig Zeilen zu schreiben. Er klaut Fakten bei Agenturen zusammen und fügt
ein paar intelligente Schnörkel dazu. Er liest den Text ein Dutzend Mal und mailt
ihn Clint. »Hier ist dein gefälschter Kubaner«, schreibt er dazu und guckt,
schon fast auf dem Weg
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