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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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nach Hause, noch mal seine Mailbox durch. Er hat eine
Nachricht von Gerda Erzbergers Nichte: Gerda ist gestorben.
    Arthur sieht auf die Uhr und überlegt,
ob die Zeit bis Redaktionsschluss reicht. Er ruft die Nichte an, kondoliert und
erfragt ein paar unentbehrliche Einzelheiten: Wann genau ist Gerda gestorben,
woran offiziell, wann ist die Beerdigung. Er tippt die Aktualisierung in den
Nachruf und geht in Clints Büro. »Wir müssen auf Seite neun was rausschmeißen.«
    »Um die Zeit nicht mehr.«
    »Eine österreichische
Schriftstellerin, Gerda Erzberger, ist gerade gestorben. Ich hatte den Nachruf
vorbereitet, er ist druckfertig.«
    »Bist du wahnsinnig? Wir haben
den Scheiß-Kubaner auf der Neun.«
    »Den musst du kippen und die
Erzberger reinnehmen.«
    »Ich muss? Kathleen hat nichts
gesagt von wegen ich muss irgendwas.«
    »Kathleen wollte ihn drin
haben.«
    Sie fuchteln beide mit Kathleens
Namen herum, als wäre der ein Knüppel.
    »Nähäh. Kathleen wollte den
126-jährigen Kubaner. Das hat sie in der Nachmittagskonferenz gesagt.«
    »Tja, und ich will die
Erzberger. In voller Länge.«
    »Wer hat 'n je gehört von
dieser österreichischen Trulla? Pass mal auf, Mann, ich finde, wir können dein
Meisterwerk getrost auf morgen verschieben.«
    »Kathleen hat ausdrücklich
gesagt, sie will was im Blatt haben, sobald die Erzberger tot ist. Klar könnte
man eine Kurzmeldung beim ältesten Lügner der Welt unten drunter klatschen,
vielleicht ist sie damit auch zufrieden. Aber ich möchte das nicht. Und ich
bitte dich jetzt persönlich, das hat mit Kathleen nichts zu tun: Schmeiß den
Kubaner raus und bring die Erzberger. Und wehe, du streichst an meinem Text
rum. Ich möchte nicht morgen früh die Zeitung aufschlagen und den als
Dreizeiler unter dem Kubaner stehen sehen. Ist das klar?«
    Clint lächelt. »Ich werd tun,
was zu tun ist, Mann.«
    Arthur schläft schlecht in
dieser Nacht - vor lauter Ungeduld. Als die Zeitung endlich kommt, geht er
damit in sein Arbeitszimmer und schlägt sofort Seite neun auf. »Ja!«, ruft er.
»Oh Clint, lieber, lieber Clint!« Genau wie erhofft, hat Clint seinen
Erzberger-Nachruf vernichtet, ihr Leben auf sieben Zeilen eingedampft und das
Ganze unter den toten Kubaner gehängt. »Perfekt«, sagt Arthur.
    Er sammelt sich und ruft
Kathleen an. »Entschuldigung, dass ich Sie so früh zu Hause störe, aber haben
Sie schon unsere Nachrufe heute gesehen?«
    »Nachrufe im Plural?« Er hört
sie blättern. Ihre Stimme wird metallisch. »Warum bringen wir den als Kurzmeldung?«
    »Ja, eben - ich verstehe das
auch nicht, wir hätten den doch noch einen Tag schieben können.«
    »Sie wussten nicht, dass der
so kommt?«
    »Ich hatte keine Ahnung. Ich seh's
selber gerade erst. Aber was mir zu schaffen macht, ist - na ja, eigentlich
mehrere Sachen. Erstens das ganze Geld, das die Zeitung ausgegeben hat, damit
ich da hinfahre. Zweitens, dass ich mir selber die ganze Mühe gemacht habe,
noch mal hinzufahren. Erst recht nach all dem, was passiert war.« Er schubst
mit dem Fuß die Tür zu, damit Visantha nicht mithören kann.
    »Genau«, sagt Kathleen.
    »Aber am allerschlimmsten«,
fährt er fort, »finde ich, dass wir Gerda damit einen Bärendienst erwiesen
haben. Einer bedeutenden Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts, einer
ernsthaften Denkerin, aus meiner Sicht. Sie wird ohnehin zu wenig gewürdigt.
Und was bringen wir? Clint macht daraus eine Kurzmeldung. Unter irgendeinem kubanischen
Lügner. Ich will ja niemanden in die Pfanne hauen, aber ich empfinde das als
Beleidigung. Und die ganze Zeitung steht damit dumm da. Wir stehen jetzt da wie
Banausen, dabei hätte Clint den Nachruf einfach nur einen Tag zurückhalten
müssen und dann in voller Länge bringen, so wie ich's ihm gesagt hatte. Ich
hatte ihm auch gesagt, dass Sie das so wollen. Ich habe ihn gebeten: >Lass
Erzberger heute ganz raus. Kathleen möchte bestimmt, dass du sie auf morgen
schiebst.< Aber na ja. Tut mir leid - ich sollte nicht lästern«, sagt er.
»Ich will auch gar nicht über Clint herziehen. Es ist nur ...«
    »Nein, Sie sind zu Recht
wütend. Ich bin selber reichlich sauer.«
    »Könnten wir meinen Beitrag
denn trotzdem heute reinnehmen?« Er weiß die Antwort.
    »Wir können ihren Tod nicht
zweimal melden.«
    »Was mich erstaunt, ist, dass
ich Sie im Gespräch mit Clint explizit zitiert habe.«
    »Im Ernst?«
    »Glasklar.«
    »Wissen Sie was«, ihre Stimme
wird zorniger, »ich möchte nicht, dass Sie weiter unter Clint

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