Rachmann, Tom
arbeiten. Das ist
ja absurd.«
»Aber die Hierarchie? Ich
meine, ich sitze doch unter Clint. Ich bin bei der Neun. Und das ist seine Seite.«
»Gar nichts ist seines.«
»Und die Rubriken? Die Rätsel
und so weiter?«
»Den ganzen Mist sollten Sie
sowieso nicht machen müssen. Den kann auch ein Volontär erledigen.«
»Clint wird Ihnen die Hölle
heißmachen.«
»Darüber mache ich mir keine
Sorgen.«
»Ich will ja nichts
überstürzen«, Arthur pult an einem Tesastreifen, mit dem Pickle einen alten
Illustriertenausschnitt an die Wand geklebt hat. »Aber ich wollte sowieso mal
etwas mit Ihnen besprechen.«
Als Arthur zum neuen
Ressortleiter Kultur ernannt wird, bezieht er Clints ehemaliges Büro. Und weil
es ihnen allzu krass vorkommt, Clint in Arthurs ehemaliges Kabuff umzusetzen,
geben sie ihm eins neben der Sportredaktion, mit Blick auf einen Deckenträger.
Zu Hause bleibt die Atmosphäre
zwischen Arthur und Visantha angespannt. Sie sucht ganz offen nach einem Job in
den USA, ihrer Heimat, und es ist keine Rede davon, dass er mit ihr zurückgeht.
Im Gegenteil, er wird erleichtert sein, wenn sie fort ist - die alte Visantha
ist schon lange nicht mehr da, so wie auch der Arthur von einst verschollen
ist.
In dieser Zeit bleibt er am
liebsten lange in der Redaktion. Nach Feierabend freut er sich an seinem neuen
Büro. Sicher, es ist kleiner als das der anderen Ressortleiter. Und er sitzt
nicht mehr so nahe am Schrank mit den Stiften. Andererseits steht der
Wasserspender jetzt wieder näher. Und das ist ein Trost.
1954- Corso Vittorio, Rom
Die Redaktion bezog Quartier
auf dem Corso Vittorio Emanuele II, eine breite, von schmutzigweißen Travertin-Kirchen
und blutorangeroten Palazzi gesäumte ost-westliche Hauptverkehrsstraße. Im
Zentrum von Rom hatten viele Gebäude Farben wie aus dem Buntstiftkasten:
dolchrot, trompetengelb, regenwolkenblau. Das grämliche Redaktionsgebäude aus
dem 17. Jahrhundert dagegen sah aus wie mit Bleistift koloriert: eine hingekritzelte
graue Fläche, abgesetzt von einem gewaltigen Eichenportal, durch das ein
Dampfer gepasst hätte. Aber die Menschen benutzten ohnehin nur das darin
eingelassene kleinere Tor.
Ein Pförtner nahm jeden
Hereinkommenden unter die Lupe, bevor er ihn den langen Flur entlang schickte.
Der burgunderrot leuchtende Läufer führte bis direkt vor den Fahrstuhlkäfig,
die Metalltür stand offen, der Fahrstuhlführer saß auf einem Samthocker. »Che piano, signore? Welcher Stock, Sir?«
Cyrus Ott nahm den dritten,
den einstigen Redaktionssitz einer faschistischen Filmzeitschrift, die nach
Mussolinis Sturz pleitegegangen war. Er befreite die Räume von den eingestaubten
Möbeln, ließ die Innenwände komplett rausreißen und schuf einen weitläufigen
Newsroom, eingerahmt von adretten Büros, die wie Theaterränge mit Bühnenblick
alle zur Mitte ausgerichtet waren. Er beschaffte Holzdrehstühle, lasierte
Schreibtische, Bankierlampen aus Messing, einen maßgefertigten hufeisenförmigen
Tisch für die Textredakteure, schimmernde schwarze Telefone für die Reporter,
achtunddreißig Underwood-Schreibmaschinen, eigens aus New York importiert,
schwere Kristallaschenbecher und einen dicken weißen Teppichboden. An der
östlichen Wand befand sich eine dezente Hausbar.
Sechs Monate später fiel jeder
Besucher, der im dritten Stock aus dem Fahrstuhl trat, fast direkt in eine
pulsierende Nachrichtenzentrale, vorn der Tisch der Sekretärin, links und
rechts ein Trüppchen tippender Reporter, am Hufeisentisch ein halbes Dutzend
Textredakteure beim Verunstalten von anderer Leute Artikeln. In den Büros
entlang den Wänden wurden Anzeigenflächen verhökert, Kleinanzeigentexte mitstenotypiert,
Geschäftsbücher mit Buchhaltertinte gefüllt. Otts Büro lag in der Nordwestecke,
in seine Milchglastür war » Verleger« geätzt. In der Nordostecke residierten
der Chefredakteur Leopold T. Marsh und die Nachrichtenchefin Betty Lieb.
Gleich daneben die Ressortleiter - Wirtschaft, Sport, Agenturmeldungen,
Bildredaktion, Layout. Zwischen allen schwirrten Redaktionsboten hin und her
wie Bienen auf Bestäubungsflug.
Gedruckt wurde im zweiten
Untergeschoss, aber da unten war fast schon Ausland. Da standen
gewerkschaftlich organisierte italienische Drucker an den ohrenbetäubenden
Pressen, und von denen traf kaum jemand mal zusammen mit den Leuten, die nur
ein paar Stockwerke höher die Zeitung vollschrieben. Spätnachmittags kam ein
Lkw mit der riesigen Rolle
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