Rachmann, Tom
schwör's.«
»Du kennst meine Position zu
China: >Wir sollten alle anfangen, Mandarin zu lernen. Bla, bla, bla.<
Kann ich jetzt aufhören?«
Gegen Mitte des Nachmittags
hat sie knapp hundert Zeilen zusammen, nicht sehr viel mehr, als sie seit gestern
an Kalorien zu sich genommen hat. Hardy ist auf Dauerdiät, etwa seit sie zwölf
ist. Inzwischen ist sie sechsunddreißig und träumt immer noch von
Spritzgebäck.
Sie genehmigt sich eine
Kaffeepause in der Espresso-Bar unten mit Annika, ihrer arbeitslosen Freundin,
die natürlich immer Zeit für einen Caffe hat. Hardy schüttet ein Tütchen
Süßstoff in den Cappuccino und überlegt laut: »Nichts versinnbildlicht doch die
Vergeblichkeit menschlichen Trachtens besser als Aspartam.« Sie nimmt ein
Schlückchen. »Ahhh, schmeckt trotzdem gut.«
Annika kippt währenddessen
bergeweise braunen Zucker in ihren Caffe macchiato.
Die beiden sind ein ziemlich
ungewöhnliches Duo an der Theke: die eine rosig, unbeholfen und untersetzt
(Hardy), die andere vollbusig, elegant, groß (Annika). Die mit dem rosigen
Gesicht winkt dem Mann hinter der Theke, aber der nimmt sie nicht wahr; die
Vollbusige nickt nur kurz, und schon beugt er sich vor.
»Umwerfend, wie mühelos du mal
eben einen Mann heranwinkst«, sagt Hardy. »Aber es hat auch was Erniedrigendes,
wie die dich dann anmachen.«
»Mich erniedrigt das nicht.«
»Aber mich. Leute hinter
Tresen sollen gefälligst mich als Objekt behandeln. Ach, hab ich dir erzählt, dass
ich schon wieder einen Albtraum mit meinen Haaren hatte?«
Annika lächelt. »Hardy, du
bist irre.«
»Ich hab im Traum in den
Spiegel geguckt, und da hat so eine von orangerotem Gekrissel umrahmte Erscheinung
zurückgeblinzelt. Grauenhaft.« Sie wirft einen kurzen Blick in den Spiegel
hinter der Theke und dreht sich sofort wieder weg. »Grotesk.«
»Noch mal zum Mitschreiben«,
sagt Annika, »ich finde deine Haare beneidenswert.« Sie nimmt eine von Hardys
Locken. »Guck mal, wie schön die springt. Und ich liebe Goldbraun.«
»Goldbraun? Meine Haare sind
so goldbraun wie Karottensuppe.« Das Handy klingelt, Hardy nimmt hastig den
letzten Schluck Cappuccino. »Ist bestimmt Kathleen, will noch was wissen zu
meiner Story.« Sie legt die Stimme auf Profi um und geht dran. Einen
Augenblick später springt ihre Stimme von selbst auf Alarm. Sie spricht jetzt
Italienisch, schreibt eine Adresse auf und legt auf. »Das war die Polizei«,
sagt sie zu Annika. »Bei mir ist eingebrochen worden. Die haben offenbar ein
paar punkabbestia- Junkies geschnappt, die gerade
mit meinem Krempel aus der Wohnung kamen.«
In der Wohnung sind alle
Schubladen aufgerissen und Vorräte auf den Boden gekippt. Wo ihre Mini-Stereoanlage
und der Flachbildfernseher gestanden hatten, hängen nur noch Kabel. Zum Glück
war der Laptop in der Redaktion. Hardys Wohnung liegt im Erdgeschoss, das
Küchenfenster, das auf eine kleine Gasse führt, ist eingeschlagen. Von da sind
sie eingestiegen, sagt die Polizei. Und anscheinend hatten die beiden
Verdächtigen alles, was sie greifen konnten, in Plastiktüten gestopft und waren
abgehauen. Aber die Tüten - prallvoll mit Diebesgut aus einer anderen Wohnung
in Trastevere - waren unter dem Gewicht zerrissen, und die Beute landete auf
der Straße verstreut. Die Diebe hatten noch versucht, alles wieder
zurückzustopfen, aber das aufgeregte Treiben hatte die Staatsmacht angelockt.
Hardys CDs, die
Mini-Stereoanlage, der kleine Flachbildfernseher, DVDs, Parfüm und Schmuck
liegen auf einem langen Tisch in der Polizeiwache, und bunt gemischt
dazwischen die Besitztümer des anderen Bestohlenen, der aber nicht da ist: ein
Nylonschlips anno 1961, ein paar englische Spionagethriller, ein katholischer
Katechismus und seltsamerweise ein Stapel schäbiger Boxershorts.
Sie gibt zu Protokoll, dass
sich zwischen den sichergestellten Gegenständen auch ihre Habe befindet, und
darf trotzdem nichts davon mitnehmen - der andere Geschädigte muss auch
anwesend sein, damit es hinterher keinen Ärger mit den Besitzansprüchen gibt.
Die Polizei kann ihn aber nicht finden.
Abends ruft sie Annika an, sie
soll doch bitte-bitte kommen. »Das ist so unheimlich mit dem eingeschmissenen
Fenster. Willst du nicht kommen und auf mich aufpassen? Ich koch uns auch was.«
»Würd ich liebend gern, aber
ich warte immer noch, dass mein Typ endlich Feierabend macht.« Gemeint ist
Craig Menzies, der Nachrichtenchef der Zeitung. »Aber komm doch du und vertreib
dir die Zeit bei
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