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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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zugelegt: Ich schreibe alles auf. In
Listen. Das ist die Lösung.« Er lügt. Sein Gedächtnis funktioniert noch immer
fehlerfrei. »Lange Listen für alles. Überleg's dir mal. Es hilft. Jede Idee,
die mir einfällt - nicht, dass mein Zeug mit echten Ideen zu tun hat -, aber
jeder Knatsch, den ich mit der Zeitung habe, ich schreibe alles auf. Gott sei
Dank versuche ich mich ja nicht an so komplexen Sachen wie du. Ich bewundere
das. Ein Buch könnte ich nie schreiben.« Er schlägt die Serviette auf dem Schoß
auf. »Ist dir doch recht, dass ich nach dem Buch frage? Ich wüsste gern - das
soll jetzt nicht zudringlich sein -, ich bin einfach neugierig, ob du das
Manuskript dabeihast? Aber noch lieber würde ich, glaube ich, wissen, wann ich
es lesen darf? Und du darfst auch gern hier weiter daran arbeiten, wenn du
willst. Du sollst dich nicht verpflichtet fühlen, mit mir mittags essen zu
gehen. Ich überlasse dir gern das Arbeitszimmer, serviere dir Suppe schüsselweise,
was immer. Ich habe in New York jahrelang Schriftstellern Essen und Trinken
serviert - ich weiß, was ich diesbezüglich kann! Aber ganz im Ernst, ich würde
mich sehr freuen, wenn du hier ein bisschen weiterkämst. Und wenn ich mich mit
Gegenlesen nützlich machen könnte, würde ich mich sehr geehrt fühlen. Noch
mal, das soll keine Verpflichtung sein. Entschuldige, ich bin jetzt still.«
     
    Als 1970 das Angebot mit der
festen Stelle hier in der Zeitung gekommen war, hatte Herman gezögert: Nach
Europa zu gehen, bevor auch Jimmy sich etabliert hatte, das war irgendwie total
falsch. Andererseits war Jimmy ohnehin nicht mehr in New York - seine Affäre in
Mexiko hatte zwar ein schlimmes Ende genommen, aber statt wieder nach
Manhattan zu kommen, hatte Jimmy einen Job als Werbefotograf bei Reitturnieren
angenommen und war mit Show-Technikern in Lkws kreuz und quer durch die Staaten
unterwegs. Hin und wieder schickte er Herman Notizen von seiner Wanderschaft.
Die Briefe waren hinreißend, die Erlebnisse grotesk. Herman bewahrte sie alle
in einem Kirschholzkistchen auf - die Korrespondenz würde ihm eines Tages bei
der Biografie helfen. Er malte sich aus, wie Jimmy lebte: Er konnte nach Lust
und Laune umziehen, einfach gehen, wenn ihn ein Job anödete, die Nächte durchmachen
und morgens neben unbekannten Frauen aufwachen. Einen leisen Groll hegte Herman
allerdings, als ob er irgendwie die Zeche für Jimmys Freiheit zahlte. Miriam
redete ihm gut zu, die Stelle in Italien anzunehmen, und zwar solange ihre
Tochter noch klein genug war für einen solchen Umbruch. Es war verlockend:
diese Zeitung mit ihrer kosmopolitischen Anmutung. In Hermans Vorstellung war
sie genau die Sorte Druckwerk, die sich ein verwitterter Romancier oder ein
Spion unter den Arm klemmt. Außerdem waren es spannende Zeiten auch in der
Zeitung, mit dem erfinderischen neuen Herausgeber Milton Berber, der quirligen
jungen Redaktion und der inspirierenden Atmosphäre. Und so nahm er 1970 die
Stelle an und drängte Jimmy, die freie Unterkunft in Rom weidlich zu nutzen -
er könne immer kommen und hier sein Buch schreiben, tagtäglich und so lange er
wolle. (Innerhalb der von Miriam gesetzten Grenzen selbstverständlich.)
    Aber Jimmy zog nach Arizona zu
Deb, die kunstvolle Teppiche webte und eine kleine Tochter hatte. Er heiratete
sie, adoptierte die Kleine und schulte auf Anwaltsgehilfe um, damit Geld
hereinkam. Herman war enttäuscht, als er Deb endlich kennenlernen durfte - er
hatte ein Wunderweib erwartet, aber das war sie nicht. Es nagte an ihm, dass
Jimmy in Arizona in einer mediokren Existenz gefangen war, wo er doch in Rom
hätte glänzen können. Herman hätte Jimmy locker einen Job in der Zeitung
beschaffen können, und er hatte es ihm immer wieder angeboten.
    Als die Rechnung kommt, zückt
Jimmy seine Kreditkarte.
    »Nein, nein«, sagt Herman,
»die übernehme ich. Ich bin der mit dem Job.« Jimmy bleibt hartnäckig.
    »Na schön, folgender
Vorschlag«, sagt Herman. »Du darfst unter einer Bedingung bezahlen: Du
schreibst mir was für die Zeitung - einen Artikel, was immer du willst -, und
ich drucke es. Wie findest du das? Selbstverständlich zahlen wir dafür, ich
fürchte allerdings, wir haben zur Zeit lausige Zeilenhonorare für Freie, nach
all den Sparmaßnahmen. Aber du darfst über alles Mögliche schreiben. Einen
Meinungsbeitrag, eine Glosse - alles. Dich im Blatt zu haben, wäre eine große
Ehre für mich. Klingt das gut?«
    An diesem Abend sitzt Jimmy am
Computer,

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