Rachmann, Tom
Wirklich
wahr. Gute Wahl. Genau so was habe ich gebraucht. Übrigens, ich hab tolle Neuigkeiten.«
Sie erzählt von ihrem Triumph im Kampf mit dem knauserigen Ott-Vorstand. Er
lässt sich von ihrer Begeisterung anstecken, füllt die Gläser nach, und gemeinsam
schmieden sie Pläne, was die Zeitung mit dem Geld anstellen könnte.
Sie lässt ihm den Vortritt. Er
redet sich in einen Rausch, seine Augen leuchten, als könnte sein bescheidener
Beitrag das Blatt von Grund auf transformieren. Sie lässt ihn gewähren,
gerührt über seine Erregung. Plötzlich sieht er sie an. »Ich weiß gar nicht,
vielleicht ist das alles Quatsch.« Er ist ein komischer Typ, denkt sie: Erst
wirft er sich so bombastisch in Pose, und kaum sieht er mir in die Augen,
schrumpft er zusammen, als wäre ihm jeder seiner intellektuellen Vorstöße so
peinlich wie beim Singen unter der Dusche ertappt zu werden.
Am nächsten Tag steckt sie der
Redaktion, dass es eventuell neue Investitionen gibt, lässt Einzelheiten aber
geschickt aus, es soll ruhig jedes Ressort auftanken und Hoffnung schöpfen.
Allzu überbordende Fantasien würgt sie ab, aber es dürfen gerne ein paar schöne
Träume durch den Newsroom zirkulieren.
Nachmittags kommt eine E-Mail
von Dario. Sie liest sie nicht gleich. Muss sie denn sofort antworten? Vielleicht
sollte sie gar nicht antworten. Wie sähe so ein Techtelmechtel denn aus? Gar
nicht gut. Die Zeitung bringt ständig Meldungen über Darios Chef. Und
Berlusconi ist eine solche Witzfigur. Wenn jemand erführe, dass sie was mit
einem PR-Mann von Berlusconi hat, dann würde das kein gutes Licht auf sie
werfen. Diese Doppelmoral, denkt sie: Wenn Profifrauen Affären haben, schreit
alle Welt nach Zensur - angeblich können die sich dann nicht mehr auf ihre
Arbeit konzentrieren, sind nicht mehr urteilsfähig und stehen total unter der
Fuchtel ihrer Liebhaber. Wenn dagegen ein männlicher Zeitungschef irgendeine
PR-Mieze verführt, dann behält er immer noch alles im Griff. Er legt sie aufs
Kreuz. So ein Quatsch. Aber sie weiß auch von Frauen, denen geringere Anlässe
das Genick gebrochen haben. Sie will eines Tages zurück in die Staaten, und
zwar einen Schritt weiter nach oben. Und dafür braucht sie ihren guten Ruf. Der
Job hier, egal, was für Macken er hat, soll sie die Karriereleiter
hinaufführen: Wenn sie sich hier verabschiedet, dann als zukünftige Managerin.
Also bloß nichts riskieren.
Und das heißt? Tja, das heißt
nichts mit Dario anfangen. Sympathisch, der Mann, aber schwach. Ist schon mal
zusammengeklappt, der arme Kerl. Nicht völlig unerwartet. Vielleicht ist er in
einem PR-Büro gelandet, weil es zu mehr nicht reicht. Netter Typ, aber kein Überflieger.
Vielleicht hat er einfach sein Niveau gefunden.
Sie liest die E-Mail doch. Es
ist nur eine Erinnerung an eine Bootstour auf der Adria 1988, sie hatten eine Yacht
gemietet, die keiner von ihnen beiden steuern konnte. Sie lächelt, als sie an
die Stelle kommt, wo er ajvar erwähnt, die jugoslawische Gemüsepaste hatten sie sich
aus Spargründen die ganzen Ferien lang aufs Brot gestrichen. Sie kneift sich
in die Hand, empört über sich selbst - wie Dario sie beurteilt hat, das war
doch Verrat. Sie liest die Mail noch einmal und antwortet: »Heh, gehen wir nach
der Arbeit was trinken?«
Sie treffen sich in der
Cocktailbar vom 'Gusto. Die Bedienung quetscht sie an einen niedrigen Tisch am
Fenster. Im Hintergrund spielt eine Jazzband, sie müssen eng zusammenrücken,
um sich zu verstehen.
»Kennst du Caipiroschka?«,
fragt Dario. »Hier machen sie den mit Erdbeeren. Ich bestell dir mal einen.«
»Was ist das denn?«
»So was wie Caipirinha, nur mit Wodka statt Cachaca.«
Sie lacht. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Trinkst du keine Cocktails?«
»Ich bin eigentlich mehr für
Wein. Und du, du bist zum Cocktailprofi aufgestiegen, seit ich weg bin?«
Er zwinkert sie an. »Musste
doch meine Sorgen ertränken.«
»Ertränkt man seine Sorgen
nicht in Scotch und solchen Sachen? Jedenfalls nicht in Erdbeer-Dingsbums.«
»Caipiroschka. Ich bestell dir
einen. Na komm.«
Das ist alles andere als
harmlos, denkt sie. Das ist ein Flirt. Als sie in seinem Büro waren, hat sie
offensichtlich den Stein ins Rollen gebracht. Sie geht auf die Toilette. Als
sie wiederkommt, stehen die Getränke auf dem Tisch: Caipiroschka mit Erdbeeren
für sie, Pinot Grigio für ihn.
»Das ist also das Ende vom
Lied«, protestiert sie und setzt sich wieder hin,
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