Rachmann, Tom
auch am
nächsten Morgen noch nichts fertig. Erst am späten Nachmittag zeigt er ihr eine
erste Fassung.
»Naja«, sagt Zeina, nachdem
sie sie überflogen hat, »ist schon mal ein Anfang. Doch, durchaus. Ich hab
allerdings ein paar Anmerkungen.«
»Bitte, nur zu.«
»Zuallererst mal die
Standardregel für Nachrichtentexte - und ich sage das jetzt nicht, um deine
Kreativität abzuwürgen: Man muss irgendwann mal den Ort und die Zeit
identifizieren können. Außerdem soll man jeden, den man zitiert, mit Namen
nennen. Und man sollte lieber nicht ganz so oft >die Sache< schreiben.«
»Aber sonst ist der Text ganz
gut?«
»Naja, es ist eine Probestory
- sehen wir's mal so.«
»Meinst du, die Zeitung nimmt
mir die ab?«
»Sie ist ein kleines bisschen
alt inzwischen.«
»Das war doch erst gestern
morgen.«
»Und das ist alt, nach
Nachrichtenmaßstäben. Tut mir leid - ich bin immer ziemlich kritisch, also nimm
dir meine Kommentare nicht zu sehr zu Herzen. Aber ich finde schon, dass du
viel zu viele Worte machst, bevor du zum Kern der Story kommst. Für meinen
Geschmack kriegt auch der Ziegenbart des Vizeministers viel zu viel Platz. Ich
würde den, ehrlich gesagt, ganz weglassen.«
»Ich dachte, so was gehört
dazu.«
»Nicht bei einem Aufmacher.
Versteh mich nicht falsch ich finde gut, wie du versuchst, Farbe reinzubringen.
Ich hatte nur das Gefühl, manchmal übertreibst du's damit. Hier zum Beispiel:
>Während er das sagte, strahlte die gelbe ägyptische Sonne so hell, als
loderte die goldene Kugel vor Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten, ebendie, die
auch im Herzen des Vizeministers für Sport, Fischerei und Jagdwesen
brannte<.«
»Den Satz wollte ich
eigentlich streichen.«
»Ich bin nicht mal sicher, ob
der grammatikalisch hinhaut. Und, mal so für den Hinterkopf: Dass der
israelischpalästinensische Konflikt >auf einen uralten Rechtschreibfehler
zurückgeht< wäre mir jedenfalls neu.«
»Ich fand, das zieht den Leser
schön rein.«
»Es stimmt aber nicht.«
»Ich weiß auch nicht, Zeina -
dieser Vizeminister hat so schnell geredet. Dann ist auch noch ein Eisverkäufer
vorbeigelaufen. Der ganze Krach. Hat mich alles abgelenkt.«
»Richtig, der Eisverkäufer, den hast du auch erwähnt.«
»Ein bisschen Lokalkolorit, dachte ich. Also, ich soll
das der Zeitung nicht schicken?«
»Doch, unbedingt.«
»Vielleicht lieber nicht.«
»Hör zu, komm morgen wieder.
Wir finden eine andere Story für dich.«
Der erste Versuch ist also
zugegebenermaßen in die Hose gegangen. Trotzdem ist Winston auf dem
Nachhauseweg wie elektrisiert. Er hat sein erstes Interview gemacht. Das war
richtiger Journalismus.
Sein Handy klingelt. Sofort
der panische Gedanke: Womöglich ist das Menzies von der Zeitung, der will
endlich Artikel. Nein, kein Glück.
»Wie läuft's, Bruder?«
»Snyder, hallo.«
»Im Niltal. Militär. Einzelkämpfer. Islamisten.«
»Bitte? Ich höre dich nur
häppchenweise. Kommt hier an wie Telegrammstil. Kannst du's noch mal sagen?«
»Satellitentelefon von
NGO-Groupie. Gebühr Minutentakt. Schnell reden. Was macht Recherche?«
»Das Zeug, was du von mir
wolltest? Ganz ehrlich gesagt, ich hatte nicht gerade tonnenweise Zeit dafür.
War irgendwie mehr an meinen eigenen Storys dran. Na, was soll's, du klingst,
als ob du in Eile bist, ich will dich nicht mit Einzelheiten aufhalten. War
jedenfalls ein bisschen schwierig mit der Recherche für dich. Unter anderem,
weil du meinen Laptop hast.«
»Hat Kathleen angerufen?«
»Nein«, sagt Winston. »Wieso? Sollte sie das?«
»Lass deine Story liegen. Mach meine Recherche.«
»Hat sie das gesagt?«
»Fettes Projekt. Preiskandidat. Bist du dabei?«
»Meinst du das ernst?«
»Dabei? Oder draußen?«
Winston zieht tatsächlich in
eine der Arbeitskabinen in der Bibliothek der American University. Anfangs ist
er sauer, dass er wieder nach Snyders Pfeife tanzt, aber bald versinkt er im
Material. Und er verspürt eine gewisse Erleichterung, weil er das Stöbern in akademischen
Wälzern beherrscht und seiner journalistischen Pflicht nachkommen darf, ohne
sich an Security-Typen der Arabischen Liga vorbeiboxen oder für
Mann-auf-der-Straße-Befragungen Frauen auf einem Markt anspringen zu müssen. So
eine Bibliotheksrecherche ist bisher eindeutig sein Lieblingspart beim
Reporterdasein. Und er taucht so tief ein, dass er drei Tage später, als Snyder
nach Kairo zurückkommt, immer noch dasitzt.
Sie verabreden sich zum Mittagessen im
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