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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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herumspringt, guckt Winston nur zu, noch
halb im Schlaf, in stummem Abscheu. Snyder erzählt, dass ihm ein NGO-Groupie
einen Billigflug nach Darfur beschafft hat. »Ich bin grad in derselben
Verfassung wie so 'n gescheiterter Staat«, deklamiert er. Dann rafft er seine
Habs eligkeiten zusammen und geht, ohne auch nur Danke zu sagen.
    Winston streckt sich auf dem Bett aus, das noch warm
von Snyder ist, und schließt die Augen. Er denkt an all die Situationen mit
Snyder und verflucht sich selbst für seine Feigheit. Eine
Stunde lang wirft er sich unruhig hin und her, dann steht er auf, fest
entschlossen, diese Stadt zu verlassen.
    Die Entscheidung fühlt sich
erst an wie ein Dämpfer, dann beschwingt sie ihn - er hat sich vom ersten Augenblick
an aus Kairo weggesehnt. Muss er eigentlich der Zeitung Bescheid sagen? Wissen
die da überhaupt, dass er hier ist? Er hat doch, seit er in Kairo ist, keinen
Piep von Menzies oder Kathleen oder sonst wem gehört.
    Er muss jetzt nur noch den
Rückflug umbuchen, packen und Zeina den Schlüssel zurückgeben. Er lädt sie zum
Abschied zum Abendessen ein, als Dank, und gelobt sich, Snyder mit keinem Wort
zu erwähnen. Es hilft nichts, der Pavian platzt dauernd dazwischen.
    »Eins muss ich zugeben«,
stellt Winston fest, »der kriegt wirklich tolle Zitate. Mir, mit meiner
Miniaturerfahrung in Interviews, hat kein Mensch irgendwas besonders Interessantes
erzählt.«
    »Snyder zitiert Leute? Es gibt
Leute, die halten seine Zitate öfter mal für approximativ.«
    »Was meinst du damit?«
    »Na ja, reden Taliban-Kämpfer
wirklich so wie: >Süß, das Bombardement, und jetzt treten wir der Northern
Alliance in 'n Arsch.<«
    »Keine Ahnung. Ich habe noch
nie einen Taliban kennengelernt.«
    »Ich will fair sein, er holt
wirklich die Hölle raus aus jeder Story, geht auch direkt an die Front -
furchtlos ist er, auf seine schräge Weise.«
    »Weiß ich. Ich habe gesehen,
wie er mit einem Typen vom Innenministerium geredet hat, in Khan el-Khahli auf
dem Markt. Auf den hat er richtig eingeteufelt, ziemlich rüde, fand ich. Aber
am Ende hatte er seine Story.«
    »Gute Reporter und gutes
Benehmen schließen sich aus«, erklärt sie. »Ist nur leicht übertrieben.«
    Zeina ist zehn Jahre älter als
Winston, und er bewundert sie - sie ist so aufgeräumt und kompetent. Ob er
eventuell nach dem Essen eine Chance hat, sie zu küssen? Küssende Paare hat er
in Kairo bisher nirgends gesehen. Und wo könnte er einen Annäherungsversuch
starten?
    Andererseits, wenn er sich
wirklich an sie ranmachen würde, wie ginge es dann weiter? Sie macht ihm doch
schon in Kleidern Angst. All seine noch so zarte Hoffnung zerstäubt, als Zeina
sagt: »Du weißt ja, dass ich mit Snyder mal was hatte, nicht?«
    »Ach, echt?«, fragt er lässig
zurück. »Was denn so?«
    »So 'n Techtelmechtel.«
    Der Spruch könnte von Snyder
sein, denkt Winston schaudernd. »Ich habe mich schon gewundert, woher du so
viel über ihn weißt.«
    »War ein Super-Fehltritt. Aber
er hat was Verführerisches.«
    »Snyder was Verführerisches?«
    »Hab ich dir doch gesagt, der
Mann ist sexy. Aber jetzt mal zu dir, so im Nachhinein, war deine Erfahrung mit
dem Journalismus ein Albtraum für den jungen Mr Cheung?«
    »Nicht nur.«
    »Hast du irgendwas davon
richtig gern gemacht?«
    »Ich habe gern in der
Bibliothek gesessen«, sagt Winston. »Ich glaube, ich mag lieber Bücher als
Menschen - primäre Quellen machen mir Angst.«
    »Außer es sind Affen.«
    »Selbst die. Einmal zum
Beispiel, da hat mein Examensvater eine Horde Erstsemester durch unser Labor
geführt. Er wollte ihnen Hierarchie und Dominanzverhalten unter Makaken
vorführen. Und auf sein Zeichen hin fing das eine Männchen, Bingo, an, sich in
meinen Oberschenkel zu verbeißen, und dann hat er mich in einer Ecke vom Gehege
festgesetzt. Bingo hat vor der gesamten Truppe demonstriert, dass ein nicht
weiter bedeutender junger Affe wie er mir den Rang streitig macht.«
    Zeina lächelt. »Und deshalb
hast du das Studium geschmissen?«
    »Da hängt noch mehr dran.
Primatenforschung, habe ich festgestellt, hat eine Kehrseite, man wächst selbst
rein in so ein Bewusstsein für Rangordnungen, Unterwerfungsverhalten,
Zweckbündnisse. Im akademischen Betrieb wäre ich immer ein niederrangiger
Primat geblieben. Journalismus dagegen kam mir vor wie ein Metier für
Alphatiere.«
    »Journalismus ist ein Haufen
Schwanzköpfe, die auf Alphatier machen«, sagt sie. »Apropos, habe ich schon erzählt,
dass

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