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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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waschen.
Seit fast sechs Monaten ist sie jetzt aus New York zurück, und noch immer hat
sie sie nicht digitalisieren lassen.
    »Kann Kurt nicht auch mal
anrufen?« Ist das denn so schwer? Sie will ja nicht meckern. Aber ihm scheint
das Kontakthalten völlig egal zu sein, ihm wäre es wahrscheinlich auch egal,
wenn jeder aus dem Leben des anderen verschwände. Behauptet, er reist nicht
gern. Und fliegt dann mit seiner Frau nach London. »Hätte er mir doch sagen
können.« Sie hätte die beiden da treffen können.
    Draußen krachen die ersten
Feuerwerkskörper, dabei sind es noch Stunden bis Mitternacht. Ruby stopft die
Fotos ganz hinten auf ein Küchenregal. Schrubbt die Hände mit Bimsstein, bis
sie rau sind.
    Das Taxi setzt sie vor dem
Hotel Nettuno ab, einem Dreisternehotel gleich außerhalb der Vatikanmauern,
dessen pfirsichgelbe Fassade schon seit 1999 hinter einem Gerüst verborgen ist,
als den Besitzern Geld wie Ehrgeiz ausgingen, mitten in der
Sandstrahlreinigung.
    Wieder kracht ein Böller, Ruby
macht vor Schreck einen Satz.
    Der Mann an der Rezeption
begrüßt sie aufltalienisch, sie antwortet auf Englisch und reicht ihm ihren
amerikanischen Pass. »Fliege gar nicht gern an Feiertagen«, sagt sie. »Bin gar
nicht gern weg von meinen Kindern. Aber die Bosse wollten das Meeting partout
nicht verlegen. Hab's ihnen nicht abgenommen.«
    Er zieht ihre Kreditkarte
durch.
    »Ist meine private, nicht die
Firmenkarte«, erklärt sie. »Auf die Weise kriege ich die Bonusmeilen.« Er nickt
desinteressiert.
    Ruby bleibt Silvester nie zu
Hause. An jedem 31. Dezember verwandelt sie sich in eine amerikanische
Geschäftsfrau, die über die Feiertage im Ausland festsitzt; und jedes Jahr
geht sie in ein anderes Hotel.
    Das Hotelzimmerfenster liegt
über den Abzugsrohren der Klimaanlage, was ihr ganz recht ist - weniger Straßenlärm.
Sie wirft den Mantel aufs Bett, holt sich ein Peroni aus der Minibar, schaltet
den Fernseher an und guckt die Pay-TV-Programme durch. Ein paar Minuten lang
bleibt sie bei einem Pornofilm hängen, nicht erregt, sondern abgetörnt. Sie
zappt auf einen Musikvideokanal und wird auch da das Schmuddelgefühl nicht los.
»Wen macht denn so was an?« Sie holt sich ein Kitkat aus der Minibar. »Da -«,
sie beißt ab und bleibt vor dem Spiegel stehen,»- da vergeht einem doch alles.«
Sie holt sich noch ein Bier und eine Schachtel Erdnüsse. »Etwa nicht?« Danach
ist ein Fläschchen Johnny Walker Red Label dran, mit dem sie den Salzstangenbrei
im Mund hinunterspült. »Nein?« Und als Nächstes ein Fläschchen Wodka Absolut,
verlängert mit einer Dose Orangensaft.
    Die Typen in der Redaktion
lassen bestimmt eine Party steigen, wenn sie gefeuert wird. »Und ich lass dann
den Champagnerkorken knallen.« Sie schraubt den Deckel von einer halben Flasche
Rotwein aus Kalabrien auf und macht sich über eine Packung Schokowaffeln her.
Keine glückliche Kombination, aber sie ist so betrunken, dass das auch egal
ist. Im Fernsehen spielt jetzt Toto einen Arzt. Die Minibar ist leer. Ruby
klappen die Augen zu. Sie zerrt die Bettdecke ans Kinn. Versinkt in Schlaf.
    Ein Gewitter aus Krachern - sie
schießt hoch, japst. Nach einem Schreckmoment weiß sie, wo sie ist: Hotel.
Fernseher, läuft. Draußen, Feuerwerk. Sie guckt auf die Uhr. Ein paar Minuten
vor Mitternacht. Die in der Zeitung werden sie feuern.
    Sie geht nach draußen auf den
Hotelflur und sieht durch ein Fenster zur Straße dem Feuerwerk zu. Der ganze
Himmel funkelt. Das Krachen hört gar nicht mehr auf. Überall in der Stadt
singen sie jetzt im Chor:
    »Sei!«
    »Cinque!«
    »Quattro!«
    »Tre!«
    »Due!«
    »UNO!«
    Auf einem Dach gegenüber
grölen Teenager - die sind bestimmt die ganze Nacht nicht zu bremsen. Vom Dachrand
schmeißen sie Sektgläser, die klirrend in der Gosse landen. In der Ferne heult
die Sirene eines Rettungswagens. Ein Mann im Trenchcoat läuft den Bürgersteig
entlang und starrt auf das Display seines Handys. Rauchfäden von den Raketen
schlängeln sich an den Laternen hoch wie Gespenster.
    Ruby weiß, dass die Minibar
leer ist, und sieht trotzdem noch einmal hinein. Sie versucht, wieder
einzuschlafen. Der Lärm ebbt allmählich ab, aber sie kann einfach nicht
wegdämmern. Sie ist hellwach. Die werden sie mit Sicherheit feuern. Großscheißartig.
    Herman Cohen hat's doch
gesagt: »Wenn du dir noch mal irgendwas leistest, war's das, Ruby.« Die sind
doch dabei, die Belegschaft zu verkleinern. Alle Welt weiß, wer als Nächstes
dran

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