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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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ihn
abzuwerben. Aber er dachte gar nicht daran wegzugehen - das hier war der Job
seines Lebens.
    In anderen Teilen des
Ott-Konzerns sah es trüber aus. Die Probleme begannen mit Ermittlungen gegen
Boyd, wegen seiner indirekten Verwicklungen in den betrügerischen Bankrott
einer Bank im Mittleren Westen. Er und acht weitere Verdächtige konnten zwar
eine Strafanzeige abwenden, mussten aber 120 Millionen Dollar Bußgeld zahlen.
Boyds Ruf wurde durch einen Aktienskandal, an dem einige Mitarbeiter des
Ott-Imperiums beteiligt waren, noch weiter ramponiert. Boyd selbst hatte nichts
damit zu tun, aber ein ganzer Schwall von Artikeln suggerierte eine Verbindung
zwischen seinem Bank-Skandal und diesem Insiderhandel. Der größte Tiefschlag
kam Mitte der achtziger Jahre. Eine zum Ott-Konzern gehörende Kupferfirma flog
auf, sie hatte in Zaire Giftmüll in einen Dorfbrunnen entsorgt. Unzählige Babys
waren danach mit Defekten zur Welt gekommen. Eine südafrikanische Zeitung
veröffentlichte die gespenstische Preisliste, nach der Vertreter des
Ott-Konzerns die Dorfbewohner entschädigt hatten: 165 Dollar für fehlende
Gliedmaßen, 40 Dollar für fehlende Hände und von da abwärts bis hin zu den
grotesk präzisen 3,85 Dollar für einen eingebüßten Zeh. Die Konzernleitung
behauptete, nichts davon gewusst zu haben, baute aber trotzdem sämtlichen
Dorfbewohnern neue Häuser.
     
    D er K alte K rieg ist aus, ein heisser fängt an
     
    Ornella de Monterecchi, Leserin
     
    Vor dem morgigen tag graut ihr, seit sie ihn zum ersten
Mal erlebt hat.
    Ornella
sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa, die Zeitung auf dem Schoß, und knabbert an
ihrer Unterlippe. Aus der Küche kommt ein leises Ratschen, die Putzfrau Marta
reißt Blätter von der Küchenrolle ab, die sie zwischen die
ineinandergestapelten Töpfe und Pfannen legen muss, damit die Oberflächen
keine Kratzer bekommen. Das gehört zu den zahlreichen Regeln, die ihre
Vorgängerinnen - und das waren Dutzende - missachtet hatten. Manche wurden
wegen Unpünktlichkeit entlassen. Manche wegen Unverschämtheit. Manche stahlen
oder wurden des Diebstahls verdächtigt. Andere lernten nichts dazu oder hatten
keine Lust dazu oder ließen den Staub unter den Betten liegen. Marta arbeitet
seit fast zwei Jahren bei Ornella und ist bisher fast ohne Fehl, abgesehen
davon, dass sie Polin ist, was Ornella als Makel erachtet. Außerdem hat Marta
eine für eine Putzfrau ungebührlich gute Figur, zum Ausgleich ist ihr Gesicht
von Aknekratern durchfurcht. Marta hat die Angewohnheit, wenn sie verwirrt ist
oder einen Rüffel bekommen hat, nach unten auf die Borsten ihres Besens zu
glotzen und zu lächeln. Das hat noch nie jemand als Aufsässigkeit empfunden,
es drückt Unterwürfigkeit aus. Und das ist genau das Richtige bei dieser
Hausherrin, denn Ornellas Heim ist eine Welt, in der man unmöglich gut sein
kann.
    Mit einer
Sprühflasche Fensterputzmittel in der Hand tritt Marta behutsam ins Wohnzimmer,
auf sehr hohen cremefarbenen Pumps, in Perlonstrümpfen und einem
bleistiftschmalen Jackenkleid, dazu ein Seidenschal - das völlig falsche Outfit
zum Putzen, aber sie war bis eben in der Messe. Ornella, die von ihrem
verstorbenen Mann die Abneigung gegen Religion übernommen hat, besteht darauf,
dass Marta jeden Sonntag putzen kommt.
    »Wie
geht's Gott heute Morgen?«, fragt Ornella. »Hat er irgendetwas Nettes über mich
gesagt?«
    Marta
lächelt mechanisch das Fenster vor ihrer Nase an. Es ist unklar, ob sie die
Frage verstanden hat. Die Sprache, in der sie sich verständigen, ist Englisch,
doch während Ornella sie dank Tausender Dinner mit Diplomaten exzellent
beherrscht, kennt Marta gerade mal die Grundlagen. Sie wartet ab, für den Fall,
dass die Hausherrin eventuell weitere Bemerkungen plant. Als nichts kommt,
sprüht sie feinen blauen Fensterreinigerregen, der sich in Perlen auf die
Scheibe legt; sie bleiben kurz liegen, dann laufen sie nach unten. Marta
arbeitet schneller als sonst, denn ihr Mann Wojciech wartet unten auf einer
Parkbank, wippt mit den Beinen oder scharrt mit einem seiner Sonntagsschuhe im
Staub und versaut die Hosenaufschläge des billigen grauen Anzugs, den Marta
heute Morgen gebügelt hat.
    »In Ruanda
hat ein Stamm in den letzten zwei Wochen Hunderttausende Leute umgebracht, die
zu einem anderen Stamm gehören«, sagt Ornella und schlägt mit dem Handrücken
auf die Zeitungsseite. »Wie kann man so schnell so viele Leute umbringen? Nur
mal praktisch gesehen, wie geht das? Und wieso

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