Rachmann, Tom
klingen, als hätte er sich
abgeregt.
Er setzt sich auf die kalten
Badezimmerfliesen und lehnt die Schulter ans Klobecken. Er liest den Brief vom
Patentamt noch einmal. Sie hatte es nett gemeint. Nichts, was sie getan hat,
hat ihn je so gerührt. Und die Ablehnung hat einen Sinn: Sie setzt einen
Schlusspunkt unter diese jahrelange lächerliche Tagträumerei. Er ist kein
Erfinder. Das war mal das. Gut.
Er wartet zwei Stunden,
speiübel ist ihm.
Hat er klargemacht, worum es
ihm geht? Worum es ihm immer gegangen war? Nein, denn um das hier war es ihm
ganz und gar nie gegangen.
Er holt sein Handy und findet
eine SMS von ihr: »Vermiss dich, darf ich mal kurz kommen?« Vor Stunden abgeschickt,
als er noch im Keller und sie noch in der Wohnung war. Er ruft sie auf dem
Handy an, aber sie geht nicht ran.
Er ruft im Hotel an. Der Mann
an der Rezeption stellt ihn ins Zimmer durch. Sein Mund ist ausgedörrt. Er
schluckt immer wieder.
»Ich
bin's«, sagt er, als jemand abnimmt, »worum es mir geht. Ich glaube, wir wollen
beide.« Er macht eine Pause. »Stimmt's? Oder habe ich -«
Weiter
kommt er nicht. Eine Männerstimme platzt dazwischen. Es ist Paolo.
1977. Corso Vittorio, Rom
Unter Milton Berber gewann die
Zeitung an Format. Sie wurde zupackend und witzig, landete den einen oder
anderen Coup, bekam sogar ein paar Preise - nichts Umwerfendes, aber
einzigartig in der Geschichte des Blattes.
Auch der Newsroom veränderte
sich. In alten Zeiten hießen die Reporter einfach: die Jungs. Inzwischen waren
viele der Jungs Frauen. Zoten ernteten immer seltener zustimmendes Prusten,
ethnische Verunglimpfungen schwirrten gar nicht mehr herum. Milton verlangte,
dass die vorhandenen Aschenbecher benutzt wurden (und der Fußboden war
keiner). Der verdreckte Teppichboden kam raus, der neue war wieder makellos
weiß. Und anstelle der Cocktailbar stand jetzt ein Wasserspender an der
Ostwand; daraufhin gingen die Tippfehler rasant zurück.
Die Stenotypistinnen
verschwanden als Nächstes, an ihre Stelle traten die Terminals für den
Fotosatz. Über Nacht verstummte das typische Tack-tack-bing im Newsroom. Auch
die rumpelnden Druckerpressen im Keller wurden leiser, die Arbeit wurde
ausgelagert in hochmoderne Druckereibetriebe in der ganzen Welt. Nie mehr
krachten riesige Papierrollen spätnachmittags hinten ins Gebäude und rissen
noch den letzten dösenden Reporter aus dem Nickerchen. Kein Lieferwagen
verstopfte mehr den Corso Vittorio, bis die Arbeiter die druckwarmen
Zeitungsstapel eingeladen hatten.
Das Nachrichtengeschäft wurde
kühler, ruhiger, sauberer.
Die größte Veränderung hatte
jedoch mit Geld zu tun: Die Zeitung fing an, welches zu verdienen. Nicht
haufenweise und auch nicht jeden Monat. Aber jetzt, nach gut zwei Jahrzehnten,
war sie profitabel.
Während andere Medien nämlich
hochnäsig auf den Vertrieb in entfernte Gegenden verzichteten, suchte die
Zeitung gezielt nach solchen Außenposten, fand ihre Nische an den Rändern der
Welt und lag werbeträchtig in den Sesseln des Clubs der Diamantenhändler in
Freetown, Sierra Leone oder beim Dorf-Agenturreporter auf der Mittelmeerinsel
Gozo oder auf einem Barhocker im neuseeländischen Arrowtown. Und irgendjemand
kam vorbei, nahm sie mit, las ein paar Seiten, und oft hatte die Zeitung einen
neuen Liebhaber gewonnen. In den frühen achtziger Jahren lag die tägliche
Auflage bei 25 000 und
stieg von Jahr zu Jahr.
Für eine Tageszeitung mit
Lesern in aller Welt ist normales Blattmachen ziemlich unmöglich - gestern in
Melbourne ist nun mal nicht gestern in Guadalajara. Deshalb ging die Zeitung
ihren eigenen Weg und vertraute auf Reporter und Redakteure, die mal aus der
üblichen Journaille ausscheren wollten, wenn auch mit wechselndem Erfolg. Der
Trick war, gute Leute zu holen: hungrige Reporter wie Lloyd Burko in Paris,
spitzfindige Wortklauber wie Herman Cohen.
Die Zeitung genoss auch in
Journalistenkreisen bald einen guten Ruf als Sprungbrett für prestigeträchtige
US-Medien, was wiederum junge Heißsporne nach Rom zog. Milton verpasste ihnen
den richtigen Schliff, triezte sie ein paar Jahre lang mit Redigieren und
hievte sie dann in Top-Positionen anderswohin. Wer die Zeitung verließ, behielt
ihn in liebevoller Erinnerung, kam bei jedem Italienbesuch in der Redaktion
vorbei und protzte mit seinem hoch dotierten jetzigen Job, mit Autorenzeilen
oder dem Nachwuchs.
Miltons Ruf wurde stetig
besser, und diverse mittelgroße amerikanische Zeitungen versuchten
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