Rachsucht
um halb zehn …«
»Morgen bin ich nicht mehr hier.«
Eine weitere lastende Pause. »Ich kann tausend besorgen. Heute Abend.«
Ich hätte heulen können, und Jesse krallte die Nägel in seine Halbfingerhandschuhe.
Dann sprach Adam wieder. »Wo?«
»In der Innenstadt, in der Nähe des Bahnhofs.« Lopez nannte eine Adresse in einem zwielichtigen Viertel.
»Wann?«, fragte Adam.
»In ein paar Stunden. Sagen wir halb zwölf.«
Jesse wirbelte herum und rollte zur Tür. Ich war ihm dicht auf den Fersen. Es war fünfundzwanzig nach elf.
»Die Adresse kommt mir irgendwie bekannt vor.« Er stutzte. »Mist!«
Der Wandschrank im Gang stand offen. Er enthielt säuberlich geordnete Sportausrüstung. Sauerstoffflaschen, Taucherflossen … Neben einem Tennisschläger klaffte eine Lücke.
»Was hat er mitgenommen?«, fragte ich. »Den Baseballschläger?«
»Nein. Die Harpune.«
Wir rasten mit hundertzehn Stundenkilometern den Cliff Drive hinunter.
»Tausend Dollar«, sagte er. »Das zahlt I-Heist aus der Portokasse. Warum sollte Lopez versuchen, das Geld aus Adam herauszupressen?«
Ich fühlte mich ganz schwach. »Eine Falle.«
Der Audi schleuderte mit quietschenden Reifen um eine Kurve.
»Sie hat Adam eine Falle gestellt«, wiederholte Jesse. »Erst haben sie ihn drangsaliert, um ihn mürbe zu machen, und jetzt benutzen sie Brand als Köder, um ihm den Rest zu geben.«
Was würde mit Adam geschehen? Bestenfalls würden sie ihn zusammenschlagen. Denkbar war jedoch auch, dass Brand tatsächlich dort sein würde – natürlich bewaffnet. Ich zückte mein Handy samt Van Heusens Visitenkarte und wählte.
»Wen rufst du an?«, fragte Jesse.
»Das FBI.«
»Das lässt du schön bleiben.«
»Adam braucht Unterstützung.«
»Van Heusen – bist du völlig von Sinnen? Nein!«
Er streckte die Hand nach dem Telefon aus, während ich versuchte, ihn abzuwehren. Im Scheinwerferlicht tauchte direkt vor uns der Berghang auf. Ich stemmte die Hände gegen das Armaturenbrett und die Füße gegen den Boden. Jesse riss das Lenkrad herum. Der Wagen schlingerte, fing sich wieder. Wir rasten weiter.
»Fahr langsamer«, sagte ich.
»Wenn du auflegst.«
»Geh sofort vom Gas. Adam braucht echte Unterstützung.«
»Und wenn wir Brand von einer Harpune durchbohrt vorfinden? Willst du Adam dem FBI ausliefern?«
Wir hatten Meereshöhe erreicht und schleuderten um eine Ecke in die Castillo Street in Richtung Strand.
»Du hast ja keine Ahnung, was heute passiert ist. Van Heusen wird dich in Ruhe lassen«, erklärte ich. »Ohne mich hätte er seine Karriere abschreiben können. Und sein bestes Stück vermutlich auch.«
Er musterte mich ungläubig. »Was …?«
»Später. Es ist eine Geschichte um Cousinchen Taylor, Fesselspiele und eine Spionagekamera.«
Er starrte mit halboffenem Mund auf die Straße. »Delaney, du steckst wie immer voller Überraschungen.«
Wir überfuhren eine rote Ampel und rasten am Strand entlang. Draußen im Hafen schimmerten die Lichter von Stearns Wharf auf dem Wasser. Jesse wirkte im Licht der Straßenlaternen sehr blass.
»Und wenn die Falle für Brand bestimmt ist und Adam als Sündenbock herhalten soll? Wir müssen ihn da rausholen, bevor es zu spät ist. Warte noch, bis wir die Situation aus erster Hand beurteilen können«, sagte er.
»Und wenn es dann zu spät ist?«
Wir brausten mit dröhnendem Motor durch die Straße.
»Verdammt noch mal. Von mir aus ruf an.«
Ich wählte. Jesse bog in ein Gewerbegebiet in der Nähe des Bahnhofs und wurde langsamer.
»Wir sind da.«
Die Straße war dunkel, bis auf eine einzige Straßenlaterne am Ende des Blocks. Die Laterne vor dem Lagerhaus brannte nicht und sah aus, als hätte sie jemand eingeworfen. Obwohl wir nur zwei Häuserblocks vom Strand entfernt waren, schien die Gegend völlig verlassen. Die Lagerhäuser um uns herum waren fest versperrt und zum Großteil mit Maschendraht umzäunt. Adams Pick-up war das einzige Fahrzeug in der Straße. Jesse ließ den Wagen ausrollen und parkte hinter Adams Auto. Ich rief Van Heusen an. Zumindest sollte das FBI wissen, wo wir waren. Seine Nummer war besetzt. Nach ein paar Sekunden drückte ich die Wahlwiederholung. Immer noch besetzt.
»Wieso fährt Adam mutterseelenallein hierher?«, fragte ich.
»Weil er denkt, er hat niemanden mehr.«
»Aber wieso in dieses Viertel?«
Jesse ließ seinen Blick über das Gebäude mit den verschmierten Fenstern wandern. Große, rechteckige Flecken weißer Farbe
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