Rachsucht
ist erst im fünften Monat und hat schon fünfzehn Kilo zugenommen.« Kendall war eine andere Cousine von mir. »Wie Tante Julie immer sagt: Wenn Kendall schwanger ist, ist kein Grillhähnchen vor ihr sicher.«
Sie holte kurz Luft und lächelte. »Und was ist mit dir?«
Ein neuer Rekord. Innerhalb von zwei Minuten waren wir bereits bei meiner Familienplanung angelangt. Ich öffnete die Glastür und ließ sie ins Haus.
Sie klatschte in die Hände. »Ja, ist das nicht schnuckelig?«
Das Problem mit Taylor war, dass sie das unheimliche Talent besaß, ihr eigenes Privatleben jeder näheren Betrachtung zu entziehen, während sie ihrerseits pausenlos in Angelegenheiten herumschnüffelte, die sie nichts angingen. Bei
ihr gab es keine Skelette im Schrank, keine Jugendsünden, keine Geschichten über einen Vollrausch bei der goldenen Hochzeit unserer Großeltern. Dafür war ich zuständig. Sie war eine Musterschülerin gewesen, Star der Theatergruppe und die perfekte Debütantin. Selbstverständlich hatte sie kirchlich geheiratet. Ihr Gatte mochte sich bei der Arbeit die Hände schmutzig machen, aber verdankte Oklahoma seinen Reichtum nicht der Ölindustrie? Taylor hatte keine dunkle Seite. Niemand tratschte über sie. Eine bedauerliche Lücke.
Sie war vor einem der Ansel-Adams-Drucke stehen geblieben. »Sehr naturverbunden. Aber du warst ja schon immer ein halber Junge.«
Damit setzte sie ihre Inspektion fort. Ich spürte, wie mir der Angstschweiß ausbrach. Panisch blickte ich mich um. Anarchistische Literatur lag jedenfalls nicht herum. Star-Trek-Gläser sah ich auch keine. Was sonst … oh nein! Mein Hochzeitsstapel. Den durfte Taylor auf keinen Fall in die Finger kriegen. Ich baute mich davor auf, aber das Ding hatte solche Dimensionen angenommen, dass ich es nicht völlig verdecken konnte. Mittlerweile wusste ich schon gar nicht mehr, wann ich mich das letzte Mal damit befasst hatte. Ich traute mich kaum noch, das Zeug anzurühren. Vielleicht zerfiel es zu Staub, wenn es mit Sauerstoff in Berührung kam.
Sie warf einen Blick in Richtung Schlafzimmer. »Ah, schauen wir uns mal dein Boudoir an.«
Was konnte da schon schiefgehen? Besser gesagt, was nicht?
Aber sie war schon drin – und blieb wie angewurzelt stehen. »Oh.«
Sie starrte auf mein Bett. Es war sauber gemacht. Keine
Schmutzwäsche an den Bettpfosten, keine Sabberspuren auf dem Kissen.
»Das ist Grandmas Decke«, sagte sie. »Du hast ihren Quilt!«
»Ja, wieso? Grandma hat ihn Mom gegeben, und die hat ihn mir geschenkt.«
Ihr Gesichtsausdruck war mir ein Rätsel. Der Lippenstift zeigte Risse. »Ich hab Grandma ausdrücklich gesagt, dass ich mir die Decke wünsche. Sie hat das genau gewusst. Alle haben das gewusst.«
»Taylor, ich …«
Sie wandte das Gesicht ab und wedelte mit der Hand. »Nicht so wichtig. Es ist einfach nur ein Schock.«
Wegen einer Decke?
Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte ins Wohnzimmer. Und erspähte im selben Moment die Fotos auf dem Kaminsims. Das eine Bild zeigte Brian, der lächelnd neben einer F/A-18 Hornet stand, auf dem anderen hielt ich Luke im Arm. Und auf einer besonders gelungenen Aufnahme lächelte Jesse in den Sonnenuntergang. Taylor grapschte danach.
»Ist das dein Verlobter?« Ihre Stirn legte sich in nachdenkliche Falten. »Der ist ja … attraktiv.«
»Finde ich auch.«
»Aber …«
Sie musterte das Foto angestrengt und drehte es tatsächlich um. Vermutlich versuchte sie sich vorzustellen, wie der Rest von Jesse aussah. Am liebsten hätte ich ihr das Bild entrissen und es schützend an mich gedrückt. Ich wusste, was sie sagen würde, ich wusste es …
»Aber ist er nicht behindert?«
Ich hätte am liebsten geschrien. »Er hat eine Wirbelsäulenverletzung.«
Erleuchtung. »Dann ist er also nicht so geboren.«
»Nein, er hatte einen …« Fast hätte ich »Unfall« gesagt. »Er wurde angefahren.«
»Und du willst ihn trotzdem heiraten.«
»Ja. Nein. Da gibt es kein ›trotzdem‹.«
Ihr Blick verriet mir, dass meine Hochzeitspläne in Oklahoma eingehend erörtert worden waren. Meine Cousinen Kendall, Cameron und Mackenzie, allesamt erfolgreiche Geschäftsfrauen mit absonderlichen Vornamen, hatten sich bestimmt den Kopf darüber zerbrochen, ob meine biologische Uhr womöglich schon so laut tickte, dass ich mich mit allem zufriedengab.
Sie strich mir über den Arm. »Bewundernswert. Du bist eine ganz besondere Frau.«
»Ich kann mich glücklich schätzen. Jesse ist ein toller Mann.«
»Du
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