Rachsucht
Mako-Technologies-Imperiums«, wie er an der Motorhaube seines Porsches lehnte. Seine Scheidung wurde nur flüchtig erwähnt. »Aber Kenny Rudenskis Leben besteht keineswegs nur aus Geschäftsessen und hochkarätigen Wohltätigkeitsbällen«, hieß es in dem sentimentalen Erguss. »Er ist ein sensibler Mensch, der eine große Tragödie erleben musste.« Damit war der Tod einer Highschool-Freundin gemeint. »Als ich Yvette verlor, flüchtete ich mich in meine Studien«, wurde Rudenski zitiert. »Selbst jetzt verstecke ich mich häufig hinter meiner Arbeit. Nur eine ganz besondere Frau könnte das ändern.«
Eine andere würde sich auch kaum auf einen notorischen Schürzenjäger einlassen.
Dann kam ich mir schäbig vor. Vielleicht hatte der Tod dieses Mädchens Kenny Rudenski dazu getrieben, die Gefahr zu suchen. So etwas gab es. Das erklärte möglicherweise auch seine Vorliebe für Motorräder und schnelle Autos, die ich seinem grenzenlosen Egoismus zugeschrieben hatte. Ein verängstigtes Kind, das sich hinter der Maske des tollkühnen Angebers versteckte.
Ich setzte meinen Rundgang fort. Unter den Warhol-Drucken erhoben sich Vitrinen mit Souvenirs aus dem Rennsport: ein von Dale Earnhardt signierter Sturzhelm, Fahrerhandschuhe,
die laut Beschriftung von Ayrton Senna stammten. Ein Nomex-Rennanzug mit unleserlicher Unterschrift. »Mark Donohue, Indianapolis 1972« stand auf dem Schild daneben.
Ich hörte Rudenski die Kellertreppe heraufommen. Die Tür schloss sich, und ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Einen Augenblick später knallte ein Korken. Kurz darauf trat Kenny mit meinem Champagnerglas ins Wohnzimmer.
»Mögen Sie Autorennen?«, fragte er, als er mich vor seiner Sammlung entdeckte.
»Ich versteh nicht viel davon.«
Er reichte mir den Champagner und deutete auf die Vitrinen. »Mark Donohue war Sieger der Indy Five Hundred. Senna muss einer der größten Formel-1-Fahrer überhaupt gewesen sein. Und Dale Earnhardt war eine Legende der NASCAR-Rennserien.«
Mir fiel auf, dass er in der Vergangenheit sprach. Ich warf einen erneuten Blick auf die Vitrinen, und mich beschlich ein mulmiges Gefühl.
»Die sind alle auf der Rennstrecke ums Leben gekommen, stimmt’s?«
Er tippte mit den Fingern gegen das Plexiglas. »Donohue 1975 bei den Trainingsläufen für den österreichischen Grand Prix. Senna 1994 in Imola. Earnhardt – was soll ich sagen? In der Schlussrunde des Daytona 500. 18. Februar 2001.«
Der Champagner war ebenso köstlich wie der vom letzten Mal. Hatte ich denn mein ganzes Leben lang Spülwasser getrunken? Rudenskis Blick war an der Senna-Vitrine hängen geblieben. Seine Finger tanzten leicht auf dem Plexiglas.
»Diese Gegenstände wurden alle im Rennen getragen. Das Zeug ist ein Vermögen wert.« Trotz seines jungenhaften Lächelns
war ich davon überzeugt, dass sein Interesse an diesen Dingen erst in zweiter Linie finanzieller Art war.
Ich sah mich um. »Jetzt begreife ich auch, warum Ihr Haus so gut gesichert ist.«
»Sicherheit ist mein Geschäft.« Er wedelte mit der Hand im Raum herum. »Die Kamera hat Sie ständig im Blick.«
Die Sache gefiel mir immer weniger. »So viel zum Thema Privatsphäre.«
»Privatsphäre gibt es nicht mehr, Gidget. Wir leben im Zeitalter der totalen Überwachung.« Er trank von seinem Bier.
»Es lebe Big Brother.«
»Schätzchen, die amerikanische Industrie ist Big Brother«, erwiderte er. »Wissen Sie, wie viel Technologie heute darum kreist, Ihre Privatsphäre knacken zu können? Angefangen von Web-Cookies, die registrieren, welche Sites Sie besuchen, über Smartcards mit ID-Chips bis hin zu biometrischer Software für Stimm- oder Retinaerkennung. Handys, die als persönliche Trackinggeräte fungieren. Eltern, die ihren Kindern Mikrochips einpflanzen, damit sie jederzeit wissen, wo sie sich rumtreiben.«
»Wollen Sie mich einschüchtern, oder ist das ein Verkaufsgespräch?«
»Das kommt darauf an, ob Sie sich von diesen Dingen bedroht fühlen oder sie für nützlich halten. Wollen Sie den absoluten Schutz der Privatsphäre? Natürlich nicht. Das wäre ein Albtraum für nationale Sicherheit, Polizei, öffentliche Gesundheit und Redefreiheit.«
Er erhob sich und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
»Sie können ganz schön überzeugend sein.«
»Darauf können Sie sich verlassen. Deswegen bin ich auch Marketingchef.« Er leerte die Flasche und warf sie in einen Papierkorb. »Das ist aber wohl nicht der Knackpunkt. Was wollen Sie
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