Rachsucht
verschob wie ein Trickbetrüger seine Hütchen. Der Idiot
hatte sich in seiner Überheblichkeit bei Segue bedient und war damit ein paar großen Fischen in die Quere gekommen. Jetzt wollten sie ihr Geld zurück.
Aber er hatte es nicht. Und deswegen knöpften sie sich nun Jesse vor.
Treibsand. Wir versanken im Treibsand.
Als das Telefon am nächsten Morgen klingelte, kam ich gerade tropfnass aus der Dusche. Jesse hatte sich meine zerwühlte Bettdecke um den Bauch gewickelt und schlief fest. Ich griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch.
Jesses Mutter hustete in den Hörer. Ich hörte, wie ihr Feuerzeug klickte. »Ist mein Sohn da?«
»Einen Augenblick, Patsy.«
»Richte ihm einfach was von mir aus. Sag ihm, seine Mutter findet das nicht witzig.«
»Wie bitte?«
»Wenn ich schon in aller Früh Müll sehen will, kann ich auch in meine Tonne gucken.«
»Patsy, ich verstehe kein Wort.«
»Du findest das also auch lustig.«
Ohne die Augen zu öffnen, streckte Jesse die Hand nach dem Telefon aus. Ich reichte ihm den Hörer.
»Mom, was ist los?«
Seine Stimme war noch heiser vom Schlaf, was Patsy Blackburn bestimmt nur allzu lebhaft daran erinnerte, dass ihr Junge in meinem Bett lag. Hoffentlich griff sie deswegen nicht schon vor der Arbeit zur Flasche. Gut denkbar, dass sie sich bereits unterwegs einen kräftigen Schluck aus der mit Wodka gefüllten Evian-Flasche unter dem Fahrersitz ihres Autos gönnte.
»Nein, ich hab nicht … so was würde ich nie tun«, sagte Jesse. »Mom, lass mich nachschauen … nein, ich schwöre, auf keinen Fall …«
Er lauschte. Als er schließlich die Augen öffnete, wirkte er, als hätte ihm das Finanzamt eine Steuerprüfung angekündigt.
»Evan hat nichts damit zu tun. Ist mir egal, ob es ihr ähnlich sieht, sie kann es gar nicht sein. Hör mal, ich hab Probleme mit meinem Computer. Jemand hat mich auf dem Kieker. Nein, ich will nicht mit Dad sprechen, lass mich …«
Er kniff die Augen zu.
»Ja, Dad, das ist ein schlechter Scherz. Ich habe nichts damit zu tun. Nein, es ist nicht Evan. Ich schwör es dir … Jeder kann ein Foto digital so verändern, dass es … Ich kann dir genau sagen, warum ich so sicher bin. Weil Evan keinen Teufelskopf auf den Hintern tätowiert hat.«
Ich kam zu dem Schluss, dass ich selbst viel dringender einen Schluck brauchte als Patsy Blackburn.
Ich wanderte vor meinem Schreibtisch auf und ab. »Das ist ja abscheulich.«
Die E-Mail war nicht nur an Jesses Eltern, sondern auch an mich gegangen. Und vermutlich an alle möglichen anderen Leute. Absender war jesse.blackburn@fuckyou-verymuch. net. Für den Junggesellenabend, hieß es in der Nachricht.
»Das ist empörend. Entwürdigend!« Ich fuchtelte mit dem Finger in Richtung Computer. »Auf gar keinen Fall ist mein Hintern so dick.«
Jesse legte den Kopf zur Seite und betrachtete nachdenklich den Monitor. Ich verpasste ihm einen Klaps auf die Schulter.
»Selbstverständlich nicht«, sagte er. »Dein Hintern ist perfekt und hat die ideale Größe. Der Maßstab, an dem sich alle anderen Hintern messen lassen müssen. Und das hier …«
Die Frau auf dem Foto besaß mein Gesicht, besser gesagt, die Visage von meinem Führerscheinfoto. Das Hundehalsband mit den Spikes, die bis zum Oberschenkel reichenden Stiefel und der nackte Hintern, der sich der Kamera entgegenreckte, gehörten nicht mir.
Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Sein Handgelenk schien beweglicher als in der Nacht und tat ihm offensichtlich nicht mehr so weh. Vielleicht war er auch nur abgelenkt.
»Das ist Utleys Rache, weil ich ihm Ameisengift ins Gesicht gesprüht habe.«
»Und sie wollen dir zeigen, was sie können, wenn sie wollen«, sagte ich. »Wie stoppen wir das?«
In diesem Augenblick klopfte Nikki an die Tür. Ihr üppiger Mund wirkte verkniffen.
»Oh Gott! Du hast die E-Mail gekriegt«, sagte ich.
»Nein, aber Carl. Er steht gerade an der Spüle und wäscht sich die Augen aus. Hättest du nicht wenigstens einen Tanga tragen können?«
Ich setzte mich und ließ den Kopf in die Hände sinken.
17. Kapitel
Mein E-Mail-Posteingang lief über, und an meinem Anrufbeantworter blinkte das Lämpchen. Siebzehn Nachrichten.
Mein Bruder Brian verlieh der vorherrschenden Meinung Ausdruck. »Jesse gibt sich besser selbst die Kugel. Dann muss ich ihm nicht den Hals umdrehen.«
Ich meldete mich bei allen, selbst wenn die Nachrichten aggressiv oder verlogen geklungen hatten. Mein letzter Anruf galt Harley
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