Radau im Reihenhaus
wir da nicht die Klotür geklaut?« fragte Rolf.
»Nee, die hatte ja nicht gepaßt. Aus Nummer acht stammt bloß der Duschkopf!«
»Weißt du denn schon, wer einzieht?«
Aber Michael wußte es nicht, was außergewöhnlich war, denn angeblich hatte sein Vater die künftigen Bewohner schon mehrmals durch das Haus geführt. »Der Mann hat mich aber jedesmal rausgeschmissen!« begründete Michael seine mangelnden Informationen. Auch das war außergewöhnlich.
Pünktlich am 15. Januar kämpfte sich wieder ein Möbelwagen über die Zufahrtsstraße, gefolgt von einem Pkw der oberen Mittelklasse, und pünktlich stand ich wie die meisten Nachbarn hinter der Gardine, um den Einzug der neuen Nachbarn zu beobachten.
Als erstes sah ich einen Dackel. Dann sah ich einen etwa zehnjährigen Jungen, der hinter dem Dackel herlief. Dann folgte eine Dame unbestimmbaren Alters, die hinter Kind und Dackel herlief, und dann folgte ein Herr, der hinter Frau, Kind und Dackel herzulaufen versuchte, die Sache aber aufgab und ins Haus trottete. Und dann sah ich Michael mit Dackel auf dem Arm, verzweifelt bemüht, seinen zappelnden Anknüpfungspunkt festzuhalten und sich damit Eintritt in die noch unbekannte Familie zu verschaffen. Es schien ihm gelungen zu sein, denn wenig später schleppte er die ersten Stühle ins Haus.
Auch ich hatte mir vorgenommen, meine nachbarlichen Pflichten zu erfüllen. Eine Schulfreundin, die in Amerika verheiratet ist und unlängst ihr eigenes Heim bezogen hatte, hatte mir begeistert geschrieben, wie nett und hilfsbereit die Nachbarn gewesen waren. Dreimal hatte man sie zum Essen eingeladen, Blumen hatte man gebracht und Himbeerkuchen, und überhaupt gehe ›drüben‹ alles viel herzlicher und viel weniger förmlich zu.
An eine Einladung zum Mittagessen traute ich mich nicht heran. Vielleicht war die neue Nachbarin eine ausgezeichnete Köchin, was ich von mir nicht behaupten konnte, sicher machte sie das Gulasch ganz anders als ich, und die Kartoffeln hätten sowieso nicht gereicht. Aber mein Kaffee war immer gelobt worden, Marmorkuchen der einzige, bei dem nie etwas schiefging, und am Nachmittag würde der Möbelwagen sicher schon abgefahren und etwas Ruhe eingekehrt sein.
Um die Mittagszeit klingelte es. Michael wollte für seinen Vater eine Kopfschmerztablette holen. »Der war heut nacht mal wieder auf Tour!« erklärte er, wechselte aber sofort das Thema. »Das sind vielleicht komische Typen, die da einziehen. So was ganz Feines. Der Junge – Hendrik heißt der, hab’ ich noch nie gehört! – hat meiner Mutter sogar die Hand geküßt und gnädige Frau zu ihr gesagt. So was Dusseliges! Erst hab’ ich geglaubt, nun hätte ich jemanden zum Spielen, aber mit so einem Fatzken gebe ich mich nicht ab.
Sein Vater ist genauso blöd. Der rennt doch mitten beim Umzug mit einem Schlips herum! Und seine Frau sagt immer Schätzchen zu ihm. Also das ist kein Umgang für uns, nicht wahr, Frau Sanders?«
»Gute Erziehung ist nicht unbedingt ein Manko«, bremste ich den altklugen Knaben, »du könntest auch ein bißchen gebrauchen!«
»Na schön, dann kriegen Sie jetzt auch immer Handküsse von mir!« versprach Michael.
»Wasch dir aber vorher die Hände!«
Das hatte er nicht mehr gehört. Er spurtete nach Hause. Die Tabletten hatte er natürlich vergessen. Vermutlich waren sie auch nur ein Vorwand gewesen.
Mit Selbstbewußtsein nicht gerade gesegnet, hatte ich plötzlich nicht mehr den Mut, meine unbekannten Nachbarn so einfach anzusprechen und zum Kaffee einzuladen. Andererseits war der Tisch gedeckt, der Kuchen auch nicht ein kleines bißchen verbrannt und der Kaffee fertig. Also rief ich Sven, bleute ihm haargenau ein, was er sagen sollte, und schickte ihn los.
Eine Zeitlang tat sich gar nichts. Endlich kam er in Begleitung jener Dame zurück.
»Hoffentlich habe ich das richtig verstanden«, lachte sie, »aber Ihr Sohn stand plötzlich vor mir und sagte wörtlich: ›Meine Mutter hat Kuchen gebacken, der nicht angebrannt ist, und Kaffee gekocht. Jetzt sollen Sie kommen!‹«
»Sinngemäß ist das schon richtig, nur die Formulierung sollte etwas anders klingen«, versicherte ich. »Vor allen Dingen galt die Einladung auch für Ihre übrige Familie.«
»Davon hat er nichts gesagt, aber mein Mann wird sich freuen. Bei uns ist der Herd noch nicht angeschlossen, wo der Tauchsieder ist, weiß ich nicht, ich hab’ ihn noch nicht gefunden, wir ernähren uns seit Stunden von Cola, Zwieback und
Weitere Kostenlose Bücher