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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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kann und es bestimmt auch tun werde, aber wie du deine karitativen Anwandlungen durchhalten willst, ist mir schleierhaft. Sogar verschrobene alte Jungfern sollten einsehen, daß man die Zeit nicht ein halbes Jahrhundert zurückdrehen kann. Tante Lotti ist ja nicht dumm!«
    »Du wirst sie auch nicht mehr ändern! Soll sie die Zeit hier ruhig genießen, vielleicht ist es das letztemal. In ihrem Alter kann doch beinahe täglich etwas passieren.«
    »Ach wo, die überlebt uns alle noch, kriegt an ihrem hundertsten Geburtstag vom Senat einen Blumenstrauß und wird Ehrenbürgerin von Berlin. So, und jetzt muß ich noch nach Bochum rüber. Es kann spät werden. Zum Abendessen bin ich bestimmt nicht da.«
    Zum Frühstück war er es auch nicht mehr. Er hatte Sven zur Schule gebracht und war dann gleich weitergefahren. Dafür erschien gegen neun Uhr eine ausgeschlafene und strahlend gelaunte Tante Lotti in der Küche und bestellte Tee.
    »Zur Feier des Tages kannst du mir ausnahmsweise schwarzen Tee aufgießen. Warum soll ich nicht auch mal sündigen?«
    Sie musterte den Frühstückstisch. »Wie ich sehe, hast du schon gefrühstückt?«
    »Natürlich, ich bin seit halb sieben auf den Beinen.«
    »Aber du wirst mir doch sicher bei einem Täßchen Tee Gesellschaft leisten?«
    »Gerne, Tante Lotti, ich muß nur vorher noch das Fleisch aufsetzen.«
    »Tu das, Liebes. Was wirst du uns denn Schönes kochen?«
    »Gemüseeintopf.«
    »Das ist recht!« lobte sie, »Kinder sollen ja viel Gemüse essen. Nur für mich ist das nicht das Richtige. Bohnen vertrage ich nicht, Sellerie schon gar nicht« – flink prüfte sie die vitaminreiche Farbenpracht auf dem Tisch – »und Paprika verursacht mir regelrechte Koliken. Wenn du vielleicht ein kleines Kalbsschnitzelchen für mich hättest und ein wenig Kartoffelbrei – du weißt ja, ich brauche nicht viel und bin ganz anspruchslos.«
    Das bekam ich in den kommenden Tagen noch oft zu hören. Das Eichen morgens mußte aber wachsweich sein – »nur knapp drei Minuten nach dem Kochen« –, der Toast nur goldbraun, und die Diätmargarine durfte nicht im Kühlschrank stehen, sondern im Keller, weil sie dann gesünder war. Frisches Brot vertrug der Magen nicht und fettes Fleisch nicht die Galle; der Blasentee – pünktlich um 18 Uhr serviert – hatte lauwarm zu sein und das Hühnersüppchen zum zweiten Frühstück kochendheiß. Manchmal knirschte ich heimlich mit den Zähnen, während ich Kalbsleberwurst auf hauchdünne Weißbrotscheiben strich, mühsam die Haut von den Tomaten entfernte und das ganze Arrangement dann auch noch mit geschälten Apfelstückchen garnierte, aber ich hielt durch. Tante Lotti revanchierte sich, indem sie immer für frische Blumen sorgte und rückhaltlos alle Beete plünderte.
    Am dritten Tag drückte sie mir einen Zettel in die Hand. »Hier habe ich dir aufgeschrieben, welche Zeitungen ich immer lese und wann sie erscheinen. Es macht dir doch sicher nichts aus, mir die jeweiligen Blätter mitzubringen.«
    »Natürlich nicht, Tante Lotti.« Den Zettel stopfte ich in die Einkaufstasche und holte ihn erst in der Buchhandlung wieder heraus. Nach einem flüchtigen Blick ließ ich ihn wieder verschwinden.
    Tante Lottis Lektüre umfaßte nahezu sämtliche Produkte der Regenbogenpresse, und ich hatte erst unlängst mit der Buchhändlerin über diese Zeitungen und ihren Leserkreis gelästert. Also konnte ich jetzt unmöglich ein ganzes Sortiment dieser Blättchen kaufen. Was sollte Frau Fritsche von mir denken? So nahm ich nur ein Handarbeitsheft mit, in das ich voraussichtlich nie hineinschauen würde, und erkundigte mich betont uninteressiert nach einem anderen Zeitungsladen.
    »Gibt es nicht«, strahlte Frau Fritsche. »Ich hab’ eine Monopolstellung. Hinten im Industrieviertel steht noch ein Kiosk, aber der ist keine Konkurrenz für mich. Der lebt von BILD und Bockwürsten.«
    »Wie schön für Sie«, murmelte ich lauwarm, packte meine Strickmuster ein und verließ das Geschäft. Zum Teufel mit Tante Lottis blaublütigem Fimmel!
    Als ehemalige Dame der Gesellschaft, die sogar einmal bei Hof vorgestellt worden war, interessierte sie sich für alles, was mit Fürsten, Grafen und Königen zu tun hatte, selbst wenn die inzwischen degeneriert, verarmt oder – quel malheur! – bürgerlich verheiratet waren. Ihre Informationen bezog Tante Lotti aus eben diesen Zeitschriften. Wenn mal wieder eine größere Fürstenhochzeit ins Haus stand, erstellte sie einen regelrechten

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