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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Stammbaum, um dann zu verkünden, daß das Brautpaar Cousin und Cousine fünften Grades seien, weil nämlich die Ururgroßmutter des Bräutigams und der Ururgroßvater der Braut… und so weiter. Bedauerlicherweise gab es außer der Berliner Nachbarin, also der Mutter von Hildchen, niemanden, der sich für Tante Lottis Adelskalender interessierte, aber das hielt sie nicht davon ab, ihre jeweiligen Gastgeber mit endlosen Tiraden über vergangene, gegenwärtige und bestimmt noch einmal kommende Monarchien zu langweilen. »Spanien ist ja auch zum angestammten Königshaus zurückgekehrt, und wenn unser Prinz Louis Ferdinand eines Tages wieder…«
    Ich machte Tante Lotti mit Frau Vogt bekannt. Vielleicht hatte die etwas für Monarchien übrig.
    Nach einem recht ausgedehnten Plauderstündchen kehrte Tante Lotti mit einem neuen Häkelmuster und dem Rezept für Karottenpüree zurück, aber »Frau Vogt wußte nicht einmal, daß Friedrich der Große verheiratet gewesen ist. Ich bitte dich, Liebes, so etwas muß man einfach wissen!«
    Aber dann kam die große Wende. Auf dem Rückweg von Bauer Köbes, bei dem sie Eier geholt hatte, um »mal wieder Stalluft schnuppern« zu können, war Tante Lotti den beiden Damen Ruhland begegnet und hatte sie in ein Gespräch gezogen.
    »Sie sahen so distinguiert aus, so ganz anders als die übrigen Bewohner dieser Siedlung. Und was soll ich dir sagen, Liebes, sie sehen nicht nur so aus, sie sind es auch! Wußtest du, daß sie in Estland ein großes Gut besessen haben?«
    Woher hätte ich das wissen sollen? Ich hatte noch kein Wort mit den beiden ältlichen Fräulein gewechselt, und sie machten auch nicht den Eindruck, als ob sie Wert darauf legten.
    »Sie leben völlig zurückgezogen, was man in dieser Umgebung ja auch verstehen kann!«
    Sehr intelligent muß ich wohl nicht ausgesehen haben, denn Tante Lotti wurde sofort deutlicher: »Du mußt das verstehen, Liebes, in unseren Kreisen kamen wir ja so gut wie gar nicht mit der bürgerlichen Mittelschicht zusammen.
    Natürlich verkehrten bei uns auch Ärzte, Sanitätsrat Clausen zum Beispiel und der Geheimrat Wunderlich, aber ein Dr. Brauer wäre bestimmt nicht empfangen worden. Genausowenig wie ein einfacher Agent.«
    »Und wen meinst du damit?«
    »Na, diesen Obermeier, oder wie er sonst heißen mag. Er hat doch etwas mit Versicherungen zu tun, oder irre ich mich da?«
    »Doch, doch, das stimmt schon«, bestätigte ich, obwohl es keineswegs mehr stimmte. Obermüller hatte sich seit unserem Einzug in mindestens einem halben Dutzend Berufen versucht und war überall gescheitert. Im Augenblick tat er gar nichts, sondern ließ sich von Dorle ernähren, die halbtags für einen Monlinger Steuerberater arbeitete.
    »Die Damen Ruhland haben mich für morgen nachmittag zum Tee eingeladen. Was meinst du, soll ich das hellgraue Seidenkleid anziehen? Oder lieber die cremefarbene Spitzenbluse?«
    »Das Kleid macht dich viel jünger!« behauptete ich sofort, denn die Bluse hätte ich bestimmt erst noch bügeln müssen.
    »Du wirst mir bitte morgen ein Biedermeiersträußchen in der Gärtnerei binden lassen«, ordnete Tante Lotti an. »Oder meinst du, ich müßte jeder Dame eins mitbringen?«
    »Keinesfalls! Du kannst doch nicht mit zwei Sträußen losziehen!« Ich dachte an mein ohnehin schon übermäßig strapaziertes Haushaltsbudget.
    »Da hast du recht. Aber ein Schächtelchen Pralinees scheint mir doch angebracht. Ich glaube sogar, ich habe noch eins im Koffer.«
    Auch mir hatte Tante Lotti eine Packung Kognakbohnen mitgebracht, die leider schon völlig ausgetrocknet waren. Da sie selbst keine Schokolade aß, hob sie die gelegentlichen Aufmerksamkeiten, die man ihr in Form von Pralinen oder anderen Süßigkeiten überreicht hatte, sorgfältig auf, um sie bei passender Gelegenheit weiterzuverschenken. Der so Beglückte mußte dann auch noch gute Miene machen und das klebrige vertrocknete Zeug sogar essen.
    Tante Lotti lebte förmlich auf. Manchmal verzichtete sie auf ihr Mittagsschläfchen, weil sie mit ihren neuen Freundinnen einen Spaziergang machen oder den Kölner Dom besuchen wollte. Das Taxi zahlten Ruhlands, den Fünfuhrtee im Dom-Hotel Tante Lotti.
    »Nie hätte ich geglaubt, ausgerechnet hier so reizenden und kultivierten Damen zu begegnen«, schwärmte sie. »Wenn ich meinen Besuch bei Hildchen nicht schon fest terminiert hätte, würde ich sogar noch ein Weilchen bei euch bleiben.«
    Bloß nicht! Auf dem Küchenkalender hatte Rolf schon Tante

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