Radau im Reihenhaus
sagte Frau Heinze und begab sich auf die Suche nach einer Fahrschule, die kleine Autos und abgeklärte Lehrer zu bieten hätte. Ich empfahl ihr Herrn Mundlos, der ja sogar mir das Fahren beigebracht hatte.
»Aber was erzähle ich Schätzchen, wenn ich abends zum theoretischen Unterricht muß? Ich kann ja nicht zweimal pro Woche ins Kino gehen!«
»Sagen Sie doch ganz einfach, Sie machen einen Nähkurs oder lernen Bauernmalerei. Sie können ja auch plötzlich Ihre Liebe zur Töpferei entdeckt haben.«
»Das glaubt er mir nie! Ich kann ja nicht mal einen Fensterrahmen streichen.«
Nach längeren Beratungen einigten wir uns auf die Behauptung, daß jeder pflichtbewußte Bürger einen Erste- Hilfe-Kurs absolviert haben sollte, um gegebenenfalls zu Schaden gekommenen Mitmenschen mit guten Ratschlägen und/oder den entsprechenden Handgriffen helfen zu können. Herr Heinze fand das dann auch sehr nützlich, wenn ihn auch die humanitären Anwandlungen seiner Frau etwas irritierten. »Schaden kann es auf keinen Fall«, meinte er, »und sei es auch nur, damit du endlich mal weißt, wozu die fünfundneunzig Tablettenschachteln in unserer Hausapotheke eigentlich gut sind.«
»Ich beabsichtige kein Medizinstudium«, erklärte Frau Heinze pikiert, »und außerdem steht alles auf den Packungen drauf. Die meisten hat mir Alex geschenkt.«
»Dann wirf sie sofort weg! Ich laß mich doch nicht mit Vitaminpillen für Schnecken umbringen!«
Frau Heinze hatte also ein Alibi für den Theorieunterricht, einen Fahrlehrer, der mit gottergebenem Blick die zweite Schülerin aus der Millionärssiedlung akzeptieren mußte, und das Geld für die Anzahlung. Wo sie den weitaus größeren Rest hernehmen sollte, wußte sie nicht.
»Ich kann meiner rheumakranken Tante ja nicht schon wieder eine Garnitur Angorawäsche schenken«, jammerte sie. »Schätzchen hat schon beim letztenmal gesagt, daß meine verwandtschaftlichen Gefühle seine finanziellen Möglichkeiten übersteigen. Aber die Bluse, die ich mir für das Geld gekauft habe, hat ihm gefallen. Zum Glück hat er überhaupt keine Ahnung, was Spitzen kosten. Er hat mir doch tatsächlich geglaubt, daß ich die Kreation beim Sommerschlußverkauf auf dem Wühltisch gefunden habe!«
»Haben Sie denn keine stillen Reserven?« fragte ich eingedenk der Tatsache, daß versierte Hausfrauen angeblich immer einen Sparstrumpf unter der Matratze aufbewahren. Meine Großmutter hatte auch einen besessen, allerdings in Form einer Zuckerdose ohne Henkel, die im Bücherschrank hinter Band 5 von Meyers Konversations-Lexikon stand. Von einem Sparbuch hatte sie nicht viel gehalten. »Geld auf der Bank ist wie Zahnpasta«, pflegte sie zu sagen, »leicht herauszubekommen, aber kaum wieder zurückzubringen.« Außerdem waren ihr Zahlen zu abstrakt. In der Zuckerdose vermehrte sich das Geld wenigstens sichtbar, und im Notfall war es auch immer zur Hand.
Mir ist es nie gelungen, einen Sparstrumpf oder ein anderes Geldreservoir anzulegen. Etwaige Reserven gingen immer für Unvorhergesehenes drauf, also für einen schicken Badeanzug oder für zwei neue Oberhemden, weil ich einen roten Socken von Sascha mit in die Maschine geworfen und die gesamte Wäsche rosa changierend wieder herausgezogen hatte. Wenn das Haushaltsgeld mal wieder überhaupt nicht reichte und ich am Monatsende der meuternden Familie tagelang Variationen in Hackfleisch servierte, blockte ich alle Proteste mit dem Hinweis ab, daß wir ja bekanntlich eine schleichende Inflation hätten.
»Was is’n das?« wollte Sven wissen.
»Zuviel Geld bei anderen Leuten!« sagte Rolf und zerteilte lustlos seinen falschen Hasen. »Den hatten wir doch gestern auch schon?! Kannst du einem nicht wenigstens Zeit lassen, ein paar Abwehrstoffe dagegen zu bilden?«
Jedenfalls hatte Frau Heinze schon die dritte Fahrstunde hinter sich gebracht und noch immer keine Ahnung, wovon sie diese bezahlen sollte. Ich riet ihr, es doch mal mit Lottospielen zu versuchen. Immerhin gab es ja in unmittelbarer Nachbarschaft Leute, die das erfolgreich probiert hatten. In letzter Zeit hatten wir allerdings schon mehrmals eine sehr amtlich aussehende Person gesichtet, die jedesmal zielstrebig das Haus von Wittingers ansteuerte und erst nach mehrmaligem Läuten eingelassen wurde.
»Steuerfahnder oder Jerichtsvollzieher«, mutmaßte Obermüller, der ja immerhin auf ein abwechslungsreiches Berufsleben zurückblicken konnte und behauptete, jeden Beamten schon auf fünfzig Meter Entfernung
Weitere Kostenlose Bücher