Radau im Reihenhaus
erkennen zu können. Da wir alle noch nie die persönliche Bekanntschaft eines Steuerfahnders oder gar eines Gerichtsvollziehers gemacht hatten und sich der Lebensstil von Wittingers auch in keiner Weise änderte, vermuteten wir in dem Besucher mit Aktenköfferchen lediglich einen Versicherungsvertreter oder einen Reisenden in Tafelsilber.
Frau Heinze beschloß, daß ihr selbst und natürlich auch sämtlichen Familienmitgliedern eine Diätkur guttun würde, setzte ihren Lieben hartgekochte Eier und Salatplatten vor – beides lieferte Bauer Köbes frisch, reichlich und preiswert – und stellte nach vierzehn Tagen fest, daß die Ausgaben für Fleisch und Wurst rapide gesunken, die für Kuchen und Gebäck aber auf das Doppelte gestiegen waren. Gespart hatte sie keinen Pfennig.
»Von irgendwas muß man ja schließlich satt werden!« begründete sie den enormen Verbrauch von Sahnetorte und Butterkeksen. »Abgenommen habe ich zwar nicht ein Gramm, seitdem ich die Kalorien zähle, aber ich kann jetzt wesentlich besser rechnen. Unklar ist mir nur noch, weshalb man von
einem
Pfund Konfekt
zwei
Pfund zunimmt.«
Als sie schon drauf und dran war, ihrem Mann die heimlichen Fahrstunden zu beichten, kam ihr der Zufall zu Hilfe. Ihre Putzfrau, die pünktlich jeden Morgen um neun gekommen und um zwölf Uhr wieder gegangen war, kündigte. Ihr Schwiegersohn hatte endlich die Mansarde in seinem Häuschen ausgebaut und somit Platz geschaffen für Oma und Opa, die dringend als Babysitter, zum Kochen und fürs Grobe gebraucht wurden, »weil ja die Tochter nun wieder arbeiten gehen muß, sonst können sie den Kredit nicht zurückzahlen. Am Freitag komme ich zum letztenmal!«
Erst klagte Frau Heinze in jammervollen Tönen, daß sie den Haushalt niemals alleine schaffen würde und Patricia bis auf weiteres ihr Studium der Kunstgeschichte abbrechen müßte, damit sie ihr zur Hand gehen könnte, denn Putzfrauen seien mittlerweile ja noch seltener geworden als ein Lottogewinn… dann aber jubelte sie plötzlich los: »Das ist ja
die
Lösung! Ich werde Schätzchen von meiner desertierten Putze gar nichts sagen, sondern weiterhin das Geld für sie kassieren und davon die Fahrstunden bezahlen. Bis ich den Führerschein habe, werde ich schon eine neue finden. Sie können sich ja auch mal umhören!«
Zuständigkeitshalber gab ich diesen Auftrag an Frau Koslowski weiter, die aber nicht bereit war, Frau Heinze die notwendigen Empfehlungen auszustellen. »Die is viel zu pingelig!«
Das stimmte allerdings. Als erstes kaufte sie einen langen Kokosläufer, der die spiegelblanken Steinplatten im Flur schützen sollte. Besucher wurden angewiesen, ja nicht vom rechten Pfad abzuweichen, und wer trotzdem mal versehentlich auf die Platten trat, erntete finstere Blicke und ein vorwurfsvolles »Ich habe vorhin erst alles gebohnert!«
Hendrik nutzte jede Gelegenheit, sich bei mir oder bei Obermüllers die Hände zu waschen, weil er zu Hause nach jeder Benutzung das Waschbecken wieder scheuern und polieren sollte. Da ihm auch nach dem Duschen eine derartige Prozedur zugemutet wurde, verzichtete er nach Möglichkeit (und gar nicht so ungern) auf die häusliche Hygiene und beschränkte sich auf Vollbäder im nahegelegenen Baggersee.
»Mutti rennt neuerdings hinter jedem Staubkrümel her!« beschwerte er sich bei mir. »Früher hat es ihr doch nie etwas ausgemacht, wenn ich mal mit dreckigen Schuhen die Treppe raufgelaufen bin.«
»Da hat sie ja auch nicht alles allein machen müs…« Erschrocken verbesserte ich mich: »Alles noch mal saubermachen zu müssen, wenn die Putzfrau gerade aus dem Haus ist, macht ja nun wirklich keinen Spaß!«
Ein paar Wochen lang ging alles gut. Zwar hatte Herr Heinze seine Perle noch niemals gesehen, aber er verließ ja auch immer schon um halb acht das Haus und kam selten vor sechs Uhr abends zurück. Außerdem interessierten ihn häusliche Belange herzlich wenig. Ihm reichte es völlig, wenn er jeden Freitag den Wochenlohn für die Putzfrau hinblättern mußte – auf eine persönliche Bekanntschaft legte er gar keinen Wert. Frau Heinze bezahlte pünktlich ihre Fahrstunden, und als sie in der normalerweise etwas hausbackenen Schaufensterauslage des Monlinger Modesalons ein »ganz entzückendes Trachtenkostüm« entdeckte, zahlte sie an, erhöhte kurz entschlossen den Stundenlohn ihrer Putzfrau (»Es wird eben alles teurer, Schätzchen!«) und redete ihrem Mann ein, das Kostüm sei ein schwer verkäufliches und daher
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