Radegunde von Thueringen
Kraft festkrallt, ziehen sie weg, streicheln, halten fest, drängen ohne Gnade. Ihre Füße bewegen sich wieder, einfach so. Dann andere Hände, ebenfalls energisch, zerren an ihren nassen Kleidern, drücken sie auf ihr Lager, halten ihr einen Becher an die Lippen. Was? Warum? Dann Dunkelheit und Ruhe.
Sie hört Trommeln, schon wieder? Pomm, poromm, pomm, pomm. Ein anderer Rhythmus, traurig und klagend. Sie gibt sich dem Klang hin. Nur nicht nachdenken! Es gibt da etwas, was sie nicht wissen will! Was sie nicht weiß, das ist nicht geschehen.
Und doch, das Wissen hockt lauernd wie eine Schlange in einer Ecke ihres Bewusstseins, und es wird hervorkommen, wenn sie es nicht verhindert. Es schlängelt sich heran, frisst sich allmählich in ihr Herz.
Als sie erwachte, fiel ihr Blick zuerst auf ihre Hände. Sie waren schmutzig, die Fingernägel abgebrochen. Ratlos betrachtete sie das ungewohnte Bild. Was war wirklich passiert und was hatte sie nur geträumt? Dämmerung hockte im Raum, jemand hatte dunkle Stoffbahnen vor ihr Fenster gehängt. Doch dahinter war heller Tag, Sonnenstrahlen tasteten sich an den Seiten entlang, wo der Stoff nicht reichte.
Die Schlange biss zu, schnell und gnadenlos. Das Wissen war bitter wie Gift, es zerriss ihr das Herz und lähmte ihren Verstand. Ihr Blick fiel auf das Kreuz an der Wand. Mechanisch stand sie auf und fiel davor auf die Knie. „Vater, deine Prüfungen sind hart. Was habe ich getan, dass du mich so bestrafst? War ich nicht demutsvoll und fromm? Warum reißt du mir mein Leben aus den Händen?“ Ihre Augen brannten, doch keine Träne brachte Erlösung. „Vater, sprich zu mir! Was habe ich getan?“ Sie schrie das Kruzifix an, doch der hölzerne Jesus zeigte keine Regung.
Fast lautlos öffnete sich die Tür und Salomé trat ein. „Wie geht es dir?“
„Ich weiß nicht. Wo ist … Agnes?“
„Sie ist … Sie setzen ihn bei. Möchtest du vielleicht …?“ Salomé brach ab. Dann schüttelte sie energisch den Kopf. „Was rede ich für einen Unsinn. Natürlich musst du dabei sein. Er ist … er war dein Bruder. Komm, wir müssen uns beeilen.“
Sie ließ sich von der Sklavin ankleiden und hinausbringen. Die Wachen verneigten sich respektvoll, als sie das Tor passierten, welches zu den Grabhügeln der Thüringer führte. Viele Menschen hatten sich versammelt, vorwiegend Knechte und Mägde. Die älteren von ihnen waren meist Sklaven aus Thüringen, die jüngeren deren Kinder, bereits in der Fremde geboren. Sie kannten das Land ihrer Väter nur aus Erzählungen. Aber auch fränkische Krieger waren gekommen, sie hatten ihren Hauptmann geliebt und verehrt.
„Macht Platz! Geht beiseite!“, murmelten sie ehrfürchtig, als sie Radegunde erkannten. Eine Gasse bildete sich. Ganz vorn stand Agnes, allein.
„Schaffst du es?“, flüsterte Salomé.
Sie antwortete nicht und die Sklavin schob sie weiter, bis sie neben Agnes zum Stehen kam. Die Freundin hob den Kopf und sah ihr in die Augen.
Sie öffnete die Arme und Agnes sank hinein. Das Gefühl, gebraucht zu werden, verlieh ihr die Kraft, zu funktionieren.
Sie hatten Bertafrid neben einem sorgfältig ausgehobenen Erdloch aufgebahrt, sein Gesicht sah friedlich aus. Er trug die Kleidung eines fränkischen Hauptmannes, seinen Rock aus festem Leinen, darüber der lederne Brustpanzer. An seiner Seite lagen sowohl das einschneidige Kurzschwert als auch die Spatha, das lange Kampfschwert mit zwei Schneiden. In dem breiten ledernen Gürtel steckte die Franziska, die Streitaxt, deren Gebrauch er so verbissen trainiert hatte. Neben seiner linken Hand lagen griffbereit zwei Münzsäckchen, neben der anderen ein Feuerstein. An alles war gedacht, um ihm den Übergang ins andere Leben leichter zu machen. Ihr Bruder war zwar gemeinsam mit ihr getauft worden, doch hatte er – wie viele seiner Anhänger – am alten Glauben festgehalten.
Gemeinsam mit Agnes trat sie an den Sarg aus schlichtem Holz. Mit zitternden Fingern löste sie die einfache Kupferfibel, die seinen Rock über der Brust zusammenhielt. Dann zog sie ihre Fibel aus dem Gewand, das Geschenk Amalafrids, das sie 25 Jahre lang getragen hatte. Sie betrachtete die Almandine, die nichts von ihrer Leuchtkraft eingebüßt hatten, berührte sie mit ihren Lippen und stieß die Nadel durch das Leinen.
„Soll sie dich dort, wohin du gehst, an mich erinnern. Ich brauche sie hier nicht mehr.“
Zwei Soldaten, die unter Bertafrid gedient hatten, befestigten den Deckel auf dem Sarg. Eine
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