Radegunde von Thueringen
kostbar bestickte Leinendecke wurde darüber ausgebreitet.
Die Trommeln erklangen. Sie hatte nicht geträumt. Sie waren da. Die Älteren unter den Trauergästen tanzten und stampften im Rhythmus, den sie nicht vergessen hatten. Einige von den Jungen versuchten schüchtern, die Bewegungen nachzuahmen, unbeholfen und hölzern zuckten ihre Gliedmaßen. Der Sarg verschwand in der Erde, die Decke dämpfte das Prasseln der ersten Erdbrocken, die von den Soldaten hinabgeschaufelt wurden. Es klang, als riefe Donar, der Gott des Krieges, nach ihnen.
Jetzt erst sah sie das große Erdloch neben dem ihres Bruders. Silberpfeils Grab. Ein Hauptmann in fränkischer Montur und einem thüringischen Begräbnis. Und mit einem thüringischen Herzen, das aufgehört hatte, zu schlagen.
Ihr Hals war trocken, sie schluckte hart. Keine Träne fand den Weg aus ihren Augen. Sie wusste jetzt, was sie zu tun hatte. „Komm, Agnes!“
Sie blieben noch einmal stehen an den kleinen Hügeln, unter denen sie Besa und Agnefrid wussten und die dicht beieinander lagen. Sie nahmen noch einmal Abschied. Für immer. Salomé war bereits vorausgegangen.
Kurz vor dem Tor überholte sie ein junger Mönch. „Verzeiht, hohe Herrin, wenn ich Euch anspreche in Eurer Trauer. Ich bin Chlodowald aus Paris. Euer Bruder hat mir viel von Euch erzählt.“
Radegunde überlegte. „Dann bist du Guntheukas Sohn?“
Der Mönch nickte.
Sie sah zu Agnes. „Der Junge, den deine Mutter ins Kloster brachte!“
„Ja, ihren Eltern verdanke ich mein Leben. Seid gewiss, dass ich sie jeden Tag in mein Gebet einschließe!“
„Hast du keine Sorge, dass Chlothar dich erkennt?“
„Nein. Das alles ist zu lange her. Und ich habe viele Freunde hier, dank Bertafrid, die mich schützen.“
„Was führt dich her?“, fragte Radegunde und sah sich besorgt um. Doch sie waren allein auf dem Weg, die Trauerfeier war noch nicht beendet.
„Ich wollte mit Bertafrid nach Thüringen gehen. Doch als ich heute Mittag eintraf, war er bereits tot.“
„Warum hat er nur so lange gezögert? Er hätte längst weg sein können!“ Sie schüttelte fassungslos den Kopf.
„Er hat sich Sorgen um dich gemacht“, flüsterte Agnes. „Er wollte dich nicht allein lassen, bevor er wusste, wie Chlothar auf die Nachricht vom Aufstand reagieren würde.“
„Wie oft hab ich ihm gesagt, er soll sich nicht um mich kümmern!“ Wut überkam sie plötzlich so heftig wie ein Regenschauer im April. Unbändige Wut.
„Weißt du, was genau passiert ist?“, fragte sie den Mönch.
„Er ist erschlagen worden. Von hinten. Ein Stallknecht hat zwei von Chlothars Grafen erkannt, die schon öfter die Schmutzarbeit für ihn erledigen mussten.“
Sie wunderte sich nicht, denn sie hatte nichts anderes vermutet. Unter ihrem Umhang ballten sich die Fäuste.
„Was willst du jetzt tun?“
„Ich werde mit seinen Freunden nach Thüringen gehen, das bin ich ihm schuldig.“
Sie nickte. Einen kleinen Moment lang war sie versucht zu sagen: „Nimm mich mit!“ Doch das ging vorüber. „Wir werden für dich beten!“
„Danke, Herrin. Ich wünsche Euch alles Gute, auch dir Agnes, lebt wohl!“ Der Mönch wandte sich um und ging zurück zu den Grabhügeln.
Der Königshof lag wie ausgestorben.
„Pack ein paar Sachen zusammen!“, sagte Radegunde. „Wir treffen uns bei den Pferdeställen!“
Agnes fragte nicht, sondern nickte nur stumm.
Auch im Gang vor der Halle begegnete ihr niemand. Chlothar schien wie vom Erdboden verschluckt.
„Du feiger Hund, traust dich nicht einmal, mir unter die Augen zu kommen!“, murmelte sie. Wieder packte sie diese ohnmächtige Wut.
Schnell warf sie ein leinenes Hemd, ein paar Wollstrümpfe und einen warmen Umhang in einen Beutel. Sie zog sich ein einfaches Reisekleid über und einen dicht gewebten Umhang, den sie mit Bertafrids einfacher Kupferfibel befestigte. Suchend sah sie sich um. Ihren Siegelring wollte sie nicht zurücklassen. Was war noch wichtig? Sie klappte die Truhe erneut auf. Unter kostbaren Kleidern, Schleiern und Umhängen lagen die Briefe. Sorgfältig verschnürte sie das Päckchen und schob es in den Beutel. Von Amalafrids Fibel hatte sie sich getrennt. Die Briefe an ihn würde sie behalten.
Den Schmuck, den Chlothar ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, eine doppelreihige Bernsteinkette und zwei runde goldene Schulterfibeln mit Mosaikeinlagen, brachte sie Salomé.
Die Sklavin brach in Tränen aus. „Nein! Das kann ich nicht annehmen! Das ist ein Vermögen
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