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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Knodel
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vor ihr.
    „Was ist passiert?“, fragte sie voller Mitleid.
    Radegunde wies mit dem Kinn auf das Pergament. Dann ging sie zur Schüssel in der Ecke und wusch sich Gesicht und Hände.
    „Gott schütze uns!“, murmelte Agnes und schlug ein Kreuz über ihrer Brust.
    „Was können wir nur tun?“, fragte Radegunde.
    Agnes grübelte bereits vor sich hin. „Der Bruder meiner Mutter, Germanus, ist Bischof in Paris. Wir werden ihn um Hilfe bitten.“
    „Davon hast du nie etwas erzählt!“
    „Ich hatte nicht gedacht, dass wir ihn einmal brauchen werden.“
    „Wir sollten ihm einen Boten schicken. Lass uns gemeinsam einen Brief aufsetzen!“ Sie schöpfte ein wenig Hoffnung. Gleichzeitig erwachte ihr Tatendrang. „Außerdem schreiben wir an Medardus. Er soll direkt in Soisson auf ihn einwirken!“
    Am Nachmittag arbeitete Radegunde im Hospital. Morgens war eine alte Frau mit Lepra im fortgeschrittenen Stadium gebracht worden. Sie konnte ihre Hände kaum noch gebrauchen, die Finger hatten sich klauenartig verkrümmt und waren von Entzündungen und Geschwüren überzogen, die jämmerlich stanken. Sorgfältig wusch sie die eitrigen Wunden in warmem Kamillensud.
    Als eine der jungen Nonnen, die ihr zusahen, die Nase rümpfte, fuhr Radegunde sie an: „Nichts, was diese Frau an sich hat, ist eine abfällige Miene wert! Sie hat in ihrem Leben schon mehr geleistet als du. Geh in die Kapelle, lege dich auf den Boden und bete zehn ,Paternoster‘!“
    Es war bitterkalt und die Zeit würde der Novizin lang werden auf dem Steinboden. Die anderen sahen ihr mit gemischten Gefühlen nach. Doch blieb keine Zeit zum Nachdenken, sie wandten sich wieder der Patientin zu.
    „Jetzt zeige ich euch, wie die Hände verbunden werden. Es ist wichtig, den Daumen einzeln zu wickeln. Dann kann der Kranke seine Hände wenigstens noch ein wenig benutzen und selbst greifen.“ Sie griff nach den Leinenstreifen. „Da an den wunden Stellen kein Gefühl ist, müsst ihr sie vor weiteren Verletzungen schützen. So fühlen die Patienten weder Hitze noch Kälte, es kommt also sehr schnell zu Verbrennungen oder Frostbeulen.“
    Die Novizinnen nickten.
    „Habt ihr noch Fragen?“
    Ein Mädchen mit vielen Sommersprossen trat vor: „Habt Ihr keine Angst, Euch selbst mit dieser Krankheit anzustecken?“
    Sie schüttelte den Kopf und lachte: „Aber nein. Gott hat uns gesandt, diesen Menschen zu helfen! Er wird uns beschützen.“
    Wenig später bereitete sie mit Fridovigia das Abendessen für die Patienten zu. Sie schnitten Kohl in feine Streifen, um ihn dann in heißem Schweinefett zu braten.
    „Herrin, ich weiß von einem Eremiten, der in der Nähe meines Heimatortes lebt. Die Leute sagen, er ist weise und er kann Wunder bewirken. Vielleicht solltet Ihr ihn aufsuchen!“
    „Woher weißt du …?“
    Fridovigia wurde rot. „Agnes erzählte mir von der Nachricht, die Euch bedrückt.“
    „So, so. Aber berichte mir alles über den Einsiedler!“ Energisch hackte sie auf einen Kohlstrunk ein.
    „Er heißt Johannes der Bretone und lebt in einer Höhle im Wald bei Chinon.“ Fridovigia schob ihre Kohlstücke vom Brett herunter in das brutzelnde Fett. „Die Leute gehen zu ihm, wenn sie wirklich in Not sind. Sie geben ihm, was sie entbehren können, und er betet für sie.“
    „Beten können wir auch selbst!“
    „Ja, aber er spricht direkt mit Gott. Einige Male ist ihm der Herr bereits erschienen. In Chinon glauben die Menschen fest an seine Hilfe.“
    Es roch verbrannt. Eilig rührte die junge Nonne mit einem großen Holzlöffel die Kohlstücke um. „Einmal hat er ein blindes Mädchen wieder sehend gemacht. Ich weiß es noch genau, es war der Sommer bevor …“ Sie sah auf ihren Bauch herab und brach ab. „Sie hatte noch nie zuvor Kirschen gesehen.“
    ,Irgendwann muss ich sie dazu bringen, dass sie mir ihre Geschichte erzählt‘, dachte Radegunde. ,Auch sie hat eine Last zu tragen.‘
    Laut sagte sie: „Also gut. Wir können es probieren. Würdest du für mich dorthin fahren?“
    Fridovigias rundes Mädchengesicht färbte sich erneut rot. „Ich?“
    „Aber ja. Du weißt schließlich, wo er zu finden ist. Natürlich nur, wenn du es dir zutraust. Es geht dir doch gut, oder?“
    „Ja, ich fahre gern!“ Die Nonne freute sich über das Vertrauen, das ihr die Herrin schenkte.
    „Dann ist das abgemacht. Du reitest natürlich nicht allein, such dir aus, wen von den Frauen du mitnehmen möchtest. Zwei oder drei Knechte werden euch beschützen.“

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