Radegunde von Thueringen
auf dem Weg und das Licht entfernt sich langsam.
Sie erwachte sanft und wusste zunächst nicht, wo sie sich befand. In ihrem Inneren klang diese Stimme nach und Frieden erfüllte ihre Seele. Sie saß auf einem Stuhl im Hospital. Es war dunkel, nur das kleine Öllämpchen neben der Tür flackerte trübe vor sich hin. Auf der Krankenstation herrschte tiefe Stille. Niemand schnarchte, hustete oder stöhnte.
Als sie endlich begriff, fiel sie auf die Knie. „Vater, ich danke dir für diese Zuversicht! Gloria deo patri!“, flüsterte sie, aus Angst, den Frieden durch laute Worte zu stören. Dann nahm sie das Lämpchen und ging zu ihren Patienten. Selbst auf den Gesichtern der Schwerkranken lag ein zufriedener Ausdruck, alle schliefen fest und ruhig.
Sie erzählte niemandem von ihrem Traum, auch nicht Agnes. Ihre Freundin würde ihn wahrscheinlich für eine Hungerfantasie nach ihren Fastentagen halten.
Nach drei Tagen kehrte Fridovigia mit ihren Gefährten zurück. Erschöpft betraten die Reisenden den Saal, wo gerade die Abendsuppe ausgegeben wurde.
Radegunde zog sie beiseite. „Was sagt der Eremit?“
Fridovigia setzte eine unglückliche Miene auf. „Er nahm den Kelch und meinte, er werde in der Nacht für Euch beten. Am nächsten Tag gingen wir erneut zu ihm.“ Sie rieb sich unbehaglich ihren Bauch.
„Da sagte er, Gott werde nicht zulassen, dass der König Euch dem Schoße der Kirche entreiße. Und er werde selbst mit Euch in Kontakt treten.“
„Der Eremit?“
„Nein, Gott! Er sagte, der Herr werde Euch ein Zeichen geben, damit Ihr Euch sicher fühlen könnt.“
Radegunde setzte sich auf ihren Stuhl und schwieg verblüfft.
„Herrin, es tut mir leid. Ich hatte mir auch mehr versprochen von dem Einsiedler. Doch leider ließ er …“
Radegunde sah auf und lächelte. „Nein, nein, Fridovigia, mach dir keine Gedanken. Es ist alles gut!“ Sie drückte ihre Hand. „Ich bin sehr zufrieden mit deiner Botschaft!“
„Wirklich?“ Die Novizin staunte.
„Ja, ich glaube, es war eine gute Idee von dir, dorthin zureisen.“
Sie erhob sich beschwingt und fuhr mit dem Austeilen der Suppe fort. Fridovigia sah ihr ratlos nach.
Mit der Kälte stieg der Zulauf an Kranken, zusätzliche Strohsäcke mussten ins Hospital geschafft werden. Sie hatten alle Hände voll zu tun und kaum Zeit zum Nachdenken.
Ende November kam ein Brief vom Bischof Germanus aus Paris. Gemeinsam brachen Agnes und Radegunde das Siegel und entzifferten atemlos die steile und enge Schrift des Kirchenmannes.
„… habe ich Euren Gemahl aufgesucht und ihm ins Gewissen geredet. Ich sagte ihm, dass er Gott und die Kirche erzürne, falls er versuchen sollte, Euch zurückzuholen. Trotzdem erscheint es mir aufgrund seines wankelmütigen Charakters sicherer, wenn Ihr Saix verlasst. Ich schlage Euch Poitiers vor, die Stadt des heiligen Hilarius. Sie wird Euch gefallen und Ihr könntet dort ein Kloster ganz nach Eurem Geschmack gründen. Ich hoffe inständig, Euch geholfen zu haben, und richte der Tochter meiner Schwester die herzlichsten Grüße aus.
Ergebenst Germanus, Bischof in Paris“
Radegunde ließ den Brief sinken und sah Agnes an. „Poitiers? Sollen wir denn hier keine Ruhe finden?“
Agnes’ Augen dagegen funkelten. Ein neues Kloster, eine neue Aufgabe für Radegunde! Vielleicht würde sie darüber ihre Kasteiung endlich vergessen und wieder ein relativ normales Leben – wenn auch hinter Klostermauern – führen!
„Aber er hat Recht!“ Sie knuffte die Freundin herzhaft in die Seite. „Wenn Poitiers noch kein Kloster hat, dann wird es doch höchste Zeit, oder?“
„Ich weiß nicht …“ Sie grübelte. „Lass uns an die Arbeit gehen, ich will darüber nachdenken.“
Gegen Abend wurde es laut auf dem Hof. Vom Hospital aus hörte sie ängstliche Rufe und das Schlagen eines Tores. Sie strich dem fiebernden Kind, an dessen Bett sie saß, leicht über den Kopf. „Ich werde nachsehen, was dort los ist. Wenn es nichts Wichtiges ist, bin ich gleich zurück.“
Sie trat in die Tür. Agnes kam mit wehendem Umhang über den Hof gelaufen, sorgsam bemüht, auf den vereisten Pfützen nicht auszurutschen.
„Es kommen Reiter aus Richtung Tours! Der Pförtner sagt, sie sehen aus wie Vasallen des Königs!“
Sie schlug hastig ein Kreuz und fand Halt am Türpfosten. Dann drehte sie sich zu der Nonne um, die mit ihr Dienst tat. „Gib dem Kleinen noch etwas von dem Tee, ich muss weg!“ Ohne Mantel hastete sie Agnes entgegen.
Als die
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