Radegunde von Thueringen
Chlothar und sein Bruder sie über den Tisch gezogen haben. Sie bekamen zwar Nordthüringen zugesprochen, mussten aber ebenso Zins zahlen wie die unterworfenen Thüringer. Das stinkt ihnen schon lange. Außerdem glauben sie noch immer, dass Theuderich und Chlothar ihnen den Schatz der Thüringer unterschlagen haben.“
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihre Gedanken überschlugen sich. „Kann ich irgendetwas tun? Helfen?“
„Nein!“ Er klang erschrocken. „Du musst das alles tief in deinem Herzen vergraben, hörst du? Chlothar darf auf keinen Fall Verdacht schöpfen.“
Sie gingen zurück in Richtung Königshalle. Sie zog ihren Schleier tiefer ins Gesicht.
„Wie erfahre ich, was passiert?“
Giso lachte leise auf. „Hier wird die Hölle los sein, wenn Chlothar davon hört. Du kannst es gar nicht verpassen.“
„Meinst du, er wird Theudebald seine Hilfe anbieten? Aus dessen Italienfeldzügen hat er sich stets herausgehalten.“
„Ich denke, im Falle der Not halten sie zusammen. Chlothar und Childebert werden es sich nicht nehmen lassen, mit dem Sohn ihres Neffen gemeinsam die damals eroberten Gebiete zurückzuholen.“
„Gütiger Jesus, haben die unseren denn überhaupt eine Chance?“
„Nun ja, wenn wir die Sachsen mitrechnen, sind wir auch sehr stark. Und wir haben den Überraschungseffekt auf unserer Seite. Ehe hier jemand Wind bekommt, müssen sie die fränkischen Wachstationen überfallen und die Söldner entwaffnet haben.“
Sie waren an der Halle angekommen.
„Ich muss los, Radegunde. Bete für uns, bete für Thüringen!“, flüsterte er und drückte ihre Hand. Dann verschwand er in der Nacht.
Fragen so vielzählig wie die Sterne über ihr drängten in ihren Kopf. Was, wenn die Franken tatsächlich aus Thüringen vertrieben würden? Wäre dann nicht Amalafrid der rechtmäßige König von Thüringen? Oder Bertafrid? Beide waren sie Söhne thüringischer Könige. Sie würden sich das Reich teilen müssen. Und sie? Wäre sie dann nicht die Königin des verhassten Nachbarreiches? Amalafrid und Bertafrid als ihre Gegner?
Aus der Halle klang Geschrei aus trunkenen Männerkehlen. Die Tür flog auf und einige der Edlen stolperten heraus, um ihre Notdurft zu verrichten.
Radegunde drückte sich flink an ihnen vorbei und verschwand im Gang zu ihrem Gemach.
Am nächsten Morgen war die Messe recht dünn besucht. Die meisten Herren lagen noch auf ihren Strohsäcken und schnarchten und würden wohl in einigen Stunden Salomés Zwillinge verfluchen. Chlothar dagegen stand frisch und kraftvoll neben ihr, als habe er nicht mitgetrunken. Der Priester selbst klang gelangweilt, und einige Male kürzte er die Liturgie, was den Gottesdienst auf eine halbe Stunde reduzierte.
‚Das traut er sich nur, weil Medardus in Noyon weilt!’, dachte sie und gähnte verstohlen.
Noch vor dem Morgenmahl besuchte sie die Wöchnerin, die noch ziemlich geschwächt war. Eine grauhaarige Hausmagd war bei ihr, um ihr beim Stillen zu helfen und die Kinder zu wickeln. Salomés ältere Kinder, zwei rehbraune Mädchen von zehn und vier Jahren, standen am Korb und begutachteten ihre Geschwister.
„Na, ihr zwei, wie gefallen euch die beiden Kleinen?“, fragte Radegunde und strich der Jüngeren übers Haar.
„Sie sehen zerknautscht aus!“, maulte das Mädchen.
„Wie alte Äpfel im Frühjahr“, ergänzte ihre Schwester.
Salomé lächelte. „Irgendwann werden sie so schön sein wie ihr, wartet nur.“
„Wie geht es dir?“ Radegunde setzte sich an ihr Lager.
„Ich fühle mich, als wäre ich unter ein Ochsenfuhrwerk geraten. Schlafen konnte ich auch nicht, die beiden wechseln sich wirklich ab und schreien um die Wette.“
„Du wirst sehen, das spielt sich alles ein. Chlothar wird dir gewiss die Hausmagd lassen, er ist sehr stolz auf die zwei Kleinen.“
Die Sklavin verdrehte die Augen. „Gib dir keine Mühe, wir wissen beide, worauf er wirklich stolz ist.“
Die Tür öffnete sich und Agnes trat ein. Allmählich wurde es eng im Raum.
„Habt ihr schon gehört?“, rief sie mit der triumphierenden Miene eines Menschen, der eine wichtige Neuigkeit verbreitet.
„Was?“ Radegunde sprang auf. Sie glaubte zu wissen, welche Nachricht Agnes mitbrachte.
„Theudebald ist gestorben!“
Sie schwieg verwirrt. Das änderte einiges und sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
„Aber hat er nicht gerade erst diese langobardische Prinzessin mit dem unaussprechlichen Namen geheiratet?“ Salomé war die Erste, die
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