Radieschen von unten
Augenblick klingelte Alex’ Handy.
»Ja bitte?« Alex hatte sich erhoben, und noch während sie zuhörte, griff sie nach ihrer Tasche.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, wandte sie sich Elfie zu. »Das war die Zentrale. Ich muss sofort los. Bei Pietas gibt es einen Todesfall.«
»Was für einen Todesfall? Wer ist denn tot?«, fragte Elfie aufgeregt.
»Das werde ich jetzt auf dem schnellsten Wege herausfinden.«
»Ich fahre mit«, beschloss Elfie spontan.
»Eigentlich ist das eine rein dienstliche Angelegenheit.«
»Na, der Kerzenleuchter ist doch rein dienstlich«, meinte Elfie nachdrücklich.
»Sie haben recht. Also packen wir ganz schnell alles zusammen und fahren los.« Alex legte Elfies Siebensachen in die Schubkarre und hastete voran. Im Vorübergehen sah Elfie den Leichenwagen auf dem Parkplatz stehen. Der stand da gut, und es würde sicher reichen, wenn sie ihn später abholte. Jetzt war offenbar Eile geboten.
Während der Fahrt sprachen sie zunächst kein Wort. Elfie hatte den Kopf abgewandt und sah aus dem rechten Seitenfenster. Alex hätte viel dafür gegeben, ihre Gedanken lesen zu können. Ihre eigenen drehten sich unablässig um die unbestreitbare Tatsache, dass in Elfies Umgebung immer wieder Leichen auftauchten. Konnte das wirklich Zufall sein?
Andererseits hätte Elfie ihr wohl kaum von dem Kerzenleuchterund ihren Recherchen erzählt, wenn sie selbst Josef Wilfert umgebracht hätte. Wenn man es recht betrachtete, wäre Elfie Ruhland sogar eine ausgezeichnete Polizistin. Sie ging systematisch vor und hatte den richtigen Biss.
Aber offenbar hatte Elfie auch ihre ganz eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit. Vielleicht setzte sie diese ja in Eigenregie um.
Alex betrachtete Elfie prüfend von der Seite. Nein, das würde überhaupt nicht zu Elfies menschenfreundlicher und hilfsbereiter Art passen. Doch im Gespräch vorhin hatte sie an Juliane Knörringer kein gutes Haar gelassen. Anscheinend gab es bei Elfie nur Schwarz oder Weiß.
Spontan fragte Alex: »Fällt Ihnen auch etwas Positives zu Frau Knörringer ein?«
Elfie drehte sich zu ihr und runzelte die Stirn. Dann hellte sich ihre Miene auf. »Doch ja, sie tanzt wunderbar Tango, so leicht und elegant.« Sie lächelte versonnen.
Alex musste unwillkürlich grinsen. Tanzen hatte sie nun nicht gerade gemeint.
»Und sonst?«, hakte sie nach.
Elfie strich über ihre Handtasche, fühlte nach dem Notizbuch darin und schüttelte dann entschieden den Kopf. »Sonst gibt es absolut nichts Positives.«
Als sie bei Pietas ankamen, fuhr die Ambulanz gerade weg. Vor dem Eingang lehnte ein Streifenbeamter an einer der Säulen und rauchte. Es war Polizeihauptmeister Norbert Kunz. Sobald er Alex entdeckte, warf er seine Zigarette zu Boden und drückte sie mit dem Absatz aus.
»Seid ihr bei der Kripo so unterbesetzt, dass ihr schon Senioren anstellen müsst?«, fragte er, als die beiden Frauen auf ihn zugingen, und musterte Elfie spöttisch.
»Jetzt aber mal halblang, Kunz«, wies Alex ihn zurecht.»Frau Ruhland ist eine wichtige Zeugin, von deren Fähigkeiten sich im Übrigen mancher Polizist eine Scheibe abschneiden könnte.«
Elfie sah Alex dankbar an und schien unter dem Lob gleich ein paar Zentimeter zu wachsen. Dann zeigte sie auf die Kippe am Boden.
»Die wollen Sie doch wohl nicht da liegen lassen«, sagte sie streng. »Oder erwarten Sie etwa, dass jemand hinter Ihnen herräumt? Sie sollten Ihre Vorbildfunktion als Ordnungshüter ein wenig ernster nehmen, junger Mann.«
Kunz errötete, hob hastig seine Kippe auf und steckte sie in die Jackentasche.
Alex konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das hatte gesessen, vor allem die Worte »junger Mann«. Denn Kunz war sicher nicht viel jünger als Elfie.
Eilfertig hielt er den beiden die Tür auf. »Bitte sehr, die Damen, nach Ihnen.«
»Na also, es geht doch«, flüsterte Elfie Alex zu und lächelte sie verschwörerisch an.
Alex wandte sich zu Kunz um. »Was haben wir?«
Kunz nahm Haltung an und spulte die Fakten herunter. »Leblose Person, offenbar die Besitzerin des Bestattungsunternehmens.« Er warf einen Blick auf seinen Notizblock. »Name Juliane Knörringer. Gefunden von der Putzfrau, Miriam Stocker. Fundort gesichert. Zeugin und Notarzt vor Ort.«
Als sie die Halle betraten, wies Kunz zum gegenüberliegenden Ende des großen Raums. Zunächst sah Alex nur nackte Beine – genauer gesagt, knochige Unterschenkel und Füße in roten Highheels –, die über die Kante eines
Weitere Kostenlose Bücher