Radikal führen
Sie selbst sehen, was Ihnen wichtig ist? Daran, wie Sie mit dem knappsten Gut umgehen, das Ihnen im Leben zur Verfügung steht: Zeit. So wie Sie mit Ihrer Lebenszeit umgehen, machen Sie unwidersprechlich eine Aussage darüber, was Ihnen wirklich wichtig ist. Alles andere ist Lebenslüge. Das spüren auch Ihre Mitarbeiter. Wie viel Zeit Sie mit ihnen verbringen, daran lesen Ihre Mitarbeiter ab, wie wichtig sie für Sie sind. Fragen Sie sich: Sind Sie für Ihre Mitarbeiter kaum greifbar, weil Sie fortwährend herumreisen? Führen Sie Gespräche immer nur zwischen Tür und Angel? Sorgen Sie niemals für ein ungestörtes, konzentriertes Miteinander? Reduzieren Sie Kontaktzeiten auf das Allernötigste? Dann wissen Ihre Mitarbeiter: Wir sind Ihnen nicht wichtig! Da können Sie noch so oft das Gegenteil behaupten. Lippenbekenntnisse! Wie ein Manager in einem Seminar selbstkritisch sagte: »Wir lieben unsere Mitarbeiter nicht mehr.« Wenn Kontaktzeit realisierte Liebe ist, dann ist diese Bemerkung wohl zutreffend.
Wenn ich Sie also auffordere: »Sprechen Sie oft miteinander!«, dann stellt sich die Frage: Was ist »oft«? Das sollten Sie vereinbaren – und nicht von sich aus entscheiden. Der eine Mitarbeiter braucht mehr Kontakt als ein anderer. Aber grundsätzlich gilt die Formel, mit der Montesquieu seine Erfahrung zusammenfasst: »Um große Dinge zu tun, braucht man kein großes Genie zu sein, man braucht nicht über den Menschen zu stehen; man muss mit ihnen sein.«
Aber natürlich sollten Sie bei einem solch knappen Gut wie Zeit auch den Wirkungsgrad Ihrer investierten Zeit kalkulieren. Und da ist folgender Fehler weit verbreitet: Die meisten Führungskräfte verbringen die Zeit, die sie für Mitarbeiter reservieren, zu 80 Prozent mit den Schwachleistern im Unternehmen und nur zu 20 Prozent mit den Topleistern. Das tun sie, weil sie glauben, bei den Schwachen seien noch Potenziale zu heben. Ein Irrglaube! Sie sind besser beraten, es genau andersherum zu halten: 20 Prozent bei den Schwachen, 80 Prozent bei den Starken. Der Wirkungsgrad der bei den (dauerhaft) Schwachen eingesetzten Managementstunde ist aller Erfahrung nach katastrophal gering, sodass man sich ernsthaft fragen sollte, ob man sich nicht besser trennt. Den Guten muss man zwar nicht erzählen, wie sie ihren Job machen sollen, aber sie brauchen auch Kontakt und Aufmerksamkeit. So kann man sie vielleicht noch ein wenig stärker machen. Wie auch immer Sie das entscheiden, wichtig ist: Mitarbeiter führen ist Arbeit – nehmen Sie sich Zeit dafür!
Sprechen statt Schreiben
Die Anthropologen sagen uns, dass Sprache keineswegs erfunden wurde, um Informationen zu transportieren. Sondern um Beziehungen zu pflegen und Kontakt zu halten. Sprache war einst das Medium, um bei wachsenden Personengruppen den Körperkontakt zu ersetzen, das heißt friedliche Absichten zu signalisieren. Deshalb ist der »small talk« so unverzichtbar, das ziel- und planlose Sprechen auf den Firmenfluren. Es sorgtfür Zusammenhalt und den gemeinsamen Weg. Nur die persönliche Begegnung schöpft die Möglichkeiten des »Wir« aus.
Das ist keine neue Erkenntnis. Schon Platon hatte im Phaidros für das Unmittelbare plädiert: Nur das gesprochene Wort und die direkte Begegnung könnten Wahrheit herausarbeiten. Oder auch aufrichtige Lehre garantieren. Wer also will, dass etwas nachhaltig wirkt und erinnert wird, der muss in persönlichen Kontakt treten, der muss mündlich werden. Das, was wir intensiv besprochen haben, was wir vielleicht sogar auswendig wissen, wird sich entfalten und in uns reifen. Das Gespräch tritt in Wechselwirkung mit unserer Existenz, es modifiziert unsere Wahrnehmung. Ein Sprechender kann sich unterbrechen, korrigieren, neu ansetzen. Daher wimmelt es in mündlichem Kontakt von schöpferischen Irrtümern.
Das Schreiben hingegen arretiert die Kommunikation. Deshalb ist es auch sinnlos, die Mitarbeiter mit unternehmenskulturellen Hirtenbriefen einnorden zu wollen. Es ist sinnlos, Leitlinien aufzuschreiben und dann zu glauben, die Leute hätten das jetzt begriffen. Gerade die Verschriftlichung impliziter Regeln ist ein Irrweg! Es macht nachlässig und schwächt das Erinnern. Wer wirklich will, dass gewisse Werte ins kollektive Bewusstsein des Unternehmens sickern, der muss von Person zu Person sprechen. Und immer wieder sprechen. Dafür gibt es Führungskräfte. Die müssen Gespräche führen – und nicht schreiben. Nur das Ungeschriebene ist dem Menschen
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