Radikal führen
dominieren. Probleme entstehen in Unternehmen, wenn direkte und indirekte Führung nicht abgestimmt sind. So zum Beispiel, wenn die indirekten Botschaften der Führungsinstrumente in eine völlig andere Richtung weisen als die direkten sprachlichen Botschaften.
Das System hat ein Gesicht
Die Beschreibung des institutionellen Rahmens als wesentlichen Einflussfaktors für das Führungsverhalten lädt ein zum Opfer-Verhalten. »Was kann ich schon tun, ich bin doch nur ein Rädchen im Getriebe« – diese Reaktion liegt nahe. Und falls Sie sich nun ermuntert fühlen, sich bequem zurückzulehnen, weil doch, ach, die Strukturen zentnerschwer auf Ihnen lasten, dann will ich Ihnen zurufen: Moment noch! Aus der Sicht des Mitarbeiters repräsentieren Sie den institutionellen Rahmen!
Das System hat ein Gesicht, ein persönliches: Es ist das Ihre! Als Chef sind Sie es, in dessen Handeln alle Unternehmens-Botschaften zusammenlaufen. Sie bilden die Einheit von Führung und Führungskraft, von personenzentrischem und systemischem Denken; in Ihnen wird auch die indirekte Führung direkt. Sie sind gleichsam die institutionelle Verkörperung des Unternehmenszwecks, der Werteträger. Ihre bare Anwesenheit »kommuniziert« das organisatorische »Sollen«! Ob Sie das wollen oder nicht. Und zumeist werden Ihnen von Ihren Mitarbeitern auch Entscheidungsspielräume unterstellt, die Sie faktisch gar nicht haben. Ist das fair? Nein. Ist das gerecht? Nein. Aber aus der Sicht des Mitarbeiters ist das praktisch.
Dieser Verantwortung müssen Sie sich stellen – sonst ist es besser, Sie suchen sich einen anderen Job. Denn der Mitarbeiter unterscheidet nicht zwischen Ihrem individuellen Wollen und der strukturellen Verfasstheit des Unternehmens. Deshalb sollten Sie sich immer zuerst die Frage stellen: »Was tue ich dazu, dass der Mitarbeiter sich so verhält, wie er sich verhält?« Er reagiert auf Sie. Er passt sich Ihnen an, mal mehr, mal weniger, im Guten wie im Schlechten. Der Verweis auf den institutionellen Rahmen ändert also nichts an der Selbstverantwortung der Führungskraft.
Noch einmal, weil es für das Folgende wichtig ist: In Ihrer Rolle als Chef fallen der individuelle und der systemische Ansatz zusammen. Für den Mitarbeiter »sind« Sie das Unternehmen. Und genau in dieser Rolle sind Sie immer in der Verantwortung.
Wie kann Führung Wandel bewirken?
Allen traditionellen Führungsdefinitionen ist gemeinsam, dass eine Führungskraft das Verhalten des oder der Geführten zielbezogen beeinflusst. Führung versucht, gewünschtes, aber unwahrscheinliches Verhalten von Mitarbeitern wahrscheinlicher zu machen.
Wenn wir nun den systemischen Ansatz aufgreifen, dann setzen wir uns mit der Paradoxie auseinander, die darin besteht, etwas absichtsvoll gestalten zu wollen, was ohnehin geschieht: Führung. Wenn Sie also etwas ändern wollen (etwa, weil der Erfolg ausbleibt oder etwas nicht Ihren Erwartungen entspricht), dann sollten Sie zunächst auf den institutionellen Rahmen schauen. Das ist gelebte Kontextsensibilität: Eine erfolgreiche Intervention wird zuerst Institutionen, kulturelle Traditionen und mentale Kollektivprogramme in den Blick nehmen.
Diese Fragen sollten Sie also stellen dürfen, ohne gleich als Utopist denunziert zu werden:
Welche Institutionen behindern das Angestrebte?
Welche organisatorischen Engpässe machen den Erfolg unwahrscheinlich?
Welche Führungsstrukturen stehen im Widerspruch zum Gewollten?
Erst wenn Sie dort aufgeräumt haben, erst wenn Sie systemische Blockaden zur Seite geschafft haben, wenn Sie also die »Bedingungen der Möglichkeit« des Erfolges verbessert haben, dann können Sie auch das Individuum anschauen. Denn natürlich gibt es Fehlbesetzungen, natürlich gibt es Unfähigkeit, natürlich gibt es Versagen. Aber mehr noch gibt es strukturellen Fehlentscheidungen.
Individuen sind das, was sie sind, für und durch sich selbst. Im Unterschied zu Institutionen, deren Wesen ausschließlich in ihrer Funktion für das Ganze liegt. Wenn wir die Kernaufgaben der Führung vom Ganzen her denken, dann hat der Blick auf das System Priorität. Er nimmt die strukturellen Dynamiken ernst, die hinter dem Rücken der Manager wirken, kann daher den Einseitigkeiten des individualisierenden Denkens entgehen. Er wird der Komplexität gerecht, in dersich Manager bewegen. Er verzichtet auf vereinfachende Moralisierung wie auf unanalytisches Pathos, welches den Blick auf die zentralen Stellgrößen des
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