Radikal führen
reich, wer wenigen dient, bleibt arm.
Dies setzt den Willen voraus, zu dienen – die Bedürfnisse anderer zu priorisieren. Dieser Zusammenhang wird oft vergessen, insbesondere im Topmanagement. Dort, wo das große Geld verteilt wird. Aber viel Geld stimuliert nicht die Bereitschaft, anderen zu dienen. Im Gegenteil: Es lässt glauben, dass man es nicht mehr nötig hat. Es läuft auf den Wunsch hinaus, ohne dienen zu verdienen. Diese Geisteshaltung betrachtet die Arbeit »für andere« mit Geringschätzung, macht Unternehmen zu Karrieremaschinen für macht- oder geldgetriebene Persönlichkeiten und bringt eine besondere Form des Managers hervor: den Selbstoptimierer. Die Kernaufgabe von Führung aber ist es, das wechselseitige Dienen strukturell zu organisieren und individuell zu unterstützen. Kaum beachtet wird dabei der fundamentale Funktionswechsel, wenn jemand erstmalig Führungskraft wird. Dieser Wechsel hat mindestens drei Dimensionen:
Wer Führungsverantwortung übernimmt, der muss die Unternehmensziele über die eigenen stellen. Als Führungskraft sind Sie Agent des Kapitals. Das mag Ihnen unsympathisch klingen und man kann es sicher wolkiger formulieren. Aber es ändert nicht die Tatsache: Ihnen wird anvertraut und zugetraut, dass Sie in besonderer Weise die Interessen der Kapitaleigner berücksichtigen. Das können Sie klug machen, und Sie sollten es nicht zu einem missverstandenen Shareholder-Value-Denken verengen. Aber an der grundlegenden Tatsache ändert das nichts. Und Sie haben sich dafür entschieden.
Das, was Sie brauchten, um aufzusteigen: Biss, Talent, Fleiß, Durchsetzungsvermögen, Präsentationsfähigkeit, all das macht sie nicht zu einer guten Führungskraft. Insbesondere technisch ausgebildete Fachkräfte (wie zum Beispiel Ingenieure) unterschätzen die Bedeutung »sozialer« Faktoren bei der Führungsarbeit. Mit einigem Recht: Denn letztlich wurde man ja vorrangig befördert aufgrund der fachlichen Qualitäten, mit denen man sich profiliert hat. Aber jetzt gilt es, nicht sich selbst zu Höchstleistungen zu führen, sondern andere. Jetzt geht es nicht mehr darum, der Beste zu sein, sondern das Beste aus anderen zu machen. Und dazu bedarf es anderer Fähigkeiten als beim beruflichen Aufstieg. Die bisherige Kompetenz kann nun arrogant wirken und den Weg zum Leistungspotenzial des Mitarbeiters verstellen. Was nichts Geringeres bedeutet, als sich selbst neu zu erfinden.
Um den Kooperationsvorrang im Unternehmen zur Geltung zu bringen, braucht es also andere Führungskräfte, Leute ohne Super-Ego. Menschen, die die Leistung anderer fördern. Es braucht Fremdoptimierer. Ich würde das nicht schreiben, wenn ich nicht etlichen Fremdoptimierern begegnet wäre, Managern, die das Interesse des Ganzen über das eigene stellen, die tun, was zu tun ist, die sich vor allem dafür einsetzen, dass ihre Mitarbeiter aufblühen. Und dafür in Kauf nehmen, selbst nicht permanent im Rampenlicht zustehen. Das heißt nicht, dass Sie als Führungskraft irgendeiner Idee der Selbstlosigkeit huldigen sollten. Die gibt es nicht, und wir beschreiben hier einen energetischen Zirkel, in dem Geben und Nehmen sich ausgleichen, wo gegenseitige Ergänzung und wechselseitige Förderung wahrscheinlicher werden. Es geht auch nicht um Gleichklang, sondern um ein Einstimmen in den Gesamtzusammenhang. Und man darf Zusammenarbeit keinesfalls mit »Kollektivismus« verwechseln, der kranken, unfreien, verantwortungslosen Form sozialer Organisation. Zusammenarbeit bedeutet nicht das Negieren des Individuellen. Auch Sie haben sicher Ihre persönlichen Ziele, wollen Ihre berufliche Identität weiterentwickeln oder Pläne für den Ruhestand schmieden. Aber das eigene Streben auf solche Ziele zu »beschränken« sabotiert die Idee der Zusammenarbeit und damit den Unternehmenserfolg.
Diese Frage haben Sie sich beim Lesen der letzten Seiten sicher schon gestellt: Sind Sie selbst die richtige Führungskraft in einem Unternehmen, das um die Kernidee der Zusammenarbeit herum gebaut ist? Sie müssen geschickter und einfühlsamer sein als herkömmliche Führungskräfte. Sie müssen einen Blick für Zusammenhänge haben, Nebenwirkungen, Spätfolgen. Sie müssen das Ressortdenken zurückdrängen – vor allem im eigenen Ressort. Sie dürfen im Mitarbeiter keinen Kostenfaktor sehen, sondern sollten ihn als Partner betrachten, den Sie ebenso benötigen, wie er Sie benötigt. Sie dürfen jeden Individualismus tolerieren, der für das Gemeinsame
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