Radikal führen
eine Stunde zusammen, vereinbaren eine bestimmte Vorgehensweise und sagen ihm dann: »Ich schaue mir das in zwei Wochen noch einmal an.« Wie lautet die versteckte Botschaft? »Ich vertraue Ihnen nicht, dass Sie sich an die Vereinbarung halten.« Oder auch: »Ich vertrauen Ihnennicht, dass Sie Ihrerseits aktiv werden und zu mir kommen, wenn etwas erneut abstimmungsnotwendig ist.« Es ist dasselbe Misstrauen, das sich durch monatliche Budget-Reportings äußert – anstatt zu vereinbaren, dass der Mitarbeiter sich selbst meldet, wenn etwas aus dem Ruder läuft.
Werden wir an dieser Stelle grundsätzlich: Was glauben Sie, was passiert, wenn Sie gar nicht da wären? Wenn der Mitarbeiter Sie nicht als Anlaufstelle hätte? Würde er plötzlich tot umfallen? Wäre er völlig paralysiert? Wüsste er dann nicht mehr, was er tun sollte? Oder würde er das Problem mit eigenen Ressourcen lösen können? Sie sollten sich öffnen für diese Perspektive: Ihre bare Existenz als Führungskraft erzeugt schon Transaktionskosten. Weil Sie wie eine lebende Aufforderung wirken: Stimme dich mit mir ab! Nimm mich mit ins Boot! Ignoriere nicht meine Kompetenzen! Sie senden fortwährend Botschaften, die empfangen, verarbeitet und beantwortet werden. Sie erzeugen eine angebotsinduzierte Nachfrage. Eine Nachfrage, die vielleicht gar nicht entstünde, wären Sie nicht da. Je mehr Chefs also, desto mehr Transaktionskosten (zum Beispiel bei Matrix-Organisationen). Fragen Sie sich ernsthaft: Rechtfertigt Ihre Anwesenheit die durch Sie entstehenden Transaktionskosten? Leisten Sie wirklich mehr, als Sie kosten – wenn man die verdeckten Kosten mitdenkt? Wenn Sie im Zweifel sind, dann können Sie wenigstens die Transaktionskosten reduzieren, die durch Sie entstehen. Durch Vertrauen.
Offiziell und auf Unternehmensebene klingt das dann so: »Wir wollen mehr in Wachstum und Innovation investieren und weniger in Administration.« Das sagte 2011 Marijn Dekkers, der Vorstandsvorsitzende der Bayer AG. So klingt heute der Ruf nach mehr Vertrauen. Denn erst vor einem Vertrauenshintergrund können sich die Routinen der täglichen Kooperationen kostengünstig entfalten. Wir können diejenigen Ressourcen einsparen, die wir als Vorbereitung auf »böse Überraschungen« in Reserve halten müssen. Damit entfallen die Kosten expliziter vertraglicher Sicherungsmaßnahmen und Monitoring-Aktivitäten.
Man kann aber nicht, wie das vielfach getan wird, mit moralisierendem Unterton eine »Vertrauensorganisation« fordern. Es muss vermittelt werden, wieso Vertrauen Komplexität reduziert. Prozesse beschleunigt. Problemlösungen effektiv macht. Effizient ist. Und dann müssen strukturelle Konsequenzen gezogen werden. Hierzu gehören zuerst der Kontrollverzicht und der Abbau von Regularien, Reporting- und Monitoring-Systemen. Angemessen, überlegt, aber entschieden. Dabei geht es gar nicht darum, alle Kontrollsysteme abzuschaffen. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter die Rücknahme beobachten können. Wenn ein Unternehmen auf strukturelles Misstrauen verzichtet, so wird das belohnt. Vertrauen schafft Vertrauen. Und Misstrauen schafft Misstrauen.
Mach mal!
Aus der Perspektive der Transaktionskosten ist nichts so »billig« wie Vertrauen. Vertrauen, dass wir intelligente, selbstverantwortliche Mitarbeiter haben, die einen guten Job machen wollen und flexibel auf die Anforderungen der Kunden reagieren. Wenn man ihnen die Freiheit dazu gibt und sie nicht mit Boni und Incentives zu einem Verhalten verleitet, das ihre Sachlogik und kundenorientierte Rationalität aushebelt. Das Hamburger Handelsunternehmen Gebr. Heinemann ist seit 130 Jahren erfolgreich auf der Basis einer Formel, die genau dies auf den Punkt bringt: »Mach mal!« Das ist der kürzeste Ausdruck einer vertrauensbasierten Zusammenarbeit. »Mach mal« – das ist Zusammenarbeit, die nicht einfach nur »das eigene Ding durchzieht«, sondern sich mit anderen abspricht und auf Vertrauen gründet. Die verzichtet auf Verhandlung, Vereinbarung und Verschriftlichung, Kontrolle auf das Notwendige begrenzt – und insofern Transaktionskosten spart.
Wie sich Individuelles und Systemisches wechselseitig bedingen, kann man am Beispiel des Vertrauens gut illustrieren. Soll sich Selbstverantwortung entwickeln, braucht der Mitarbeiter Vertrauen. Solange Unternehmen von der Vorstellunggeradezu besessen sind, ihre Mitarbeiter wollten Sie nur betrügen, werden sie ein Fluchtverhinderungssystem nach dem anderen installieren,
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