Radikal
und dachte über Rieffens Worte nach. Machte er sich an sie heran? Wollte er wirklich die angespannte Beziehung zwischen ihr und den Drei Fragezeichen entschärfen? Oder war seine Zutraulichkeit nur ein Witz, und sie würde am Ende vorgeführt werden?
Während Merle Schwalb noch überlegte, was sie als Nächstes sagen wollte, ergriff Frederick Rieffen wieder das Wort.
»Merle, ich will ja nur, dass du uns nicht für Arschlöcher hältst.«
»Ich dachte, du kannst nur für dich sprechen?«
»Ja, klar. Stimmt ja. Arno und Lars können schon Arschlöcher sein. Ich wahrscheinlich auch, also manchmal. Aber mir geht das auch auf den Sack.«
»Was geht dir auf den Sack? Mit ihnen zu arbeiten?«
»Nein, das ist cool. Aber diese Attitüde. Na klar kommen wir viel rum und kriegen manchmal gutes Zeug auf den Tisch und so.«
»Aber?«
»Aber deshalb muss man ja nicht so abheben. Ich will bloß schreiben, weißt du, gute Geschichten schreiben. Oder meinetwegen auch aus mittelguten gute machen, mir egal. Aber das macht mir Spaß, das kann ich.«
»Ja, das kannst du.«
»Ja, verdammt . Aber deshalb muss man ja kein Arsch sein, verstehst du? Ich meine, Arno zum Beispiel, wusstest du, dass er dreimal durch die Führerscheinprüfung gefallen ist und es dann nie wieder versucht hat? Stattdessen denken alle, er ist ein Oberarsch, weil er ständig Taxi fährt.«
»Na ja, er könnte ja auch S-Bahn oder U-Bahn fahren wie alle anderen.«
»Arno doch nicht!«
»Eben.«
»Ja, eben.«
Noch immer konnte Merle Schwalb nicht recht einschätzen, ob Rieffen nur angetrunken oder besoffen war. Er hielt sich gerade, lallte nicht, tatschte sie nicht an und schwankte nicht. Hatte er sichwomöglich tatsächlich gerade genug Mut angetrunken, um sich auszuquatschen? Besser, wenn sie unverbindlich blieb und ihrerseits nicht zu viel von sich selbst preisgab. Andererseits war die Gelegenheit zu günstig, um nicht ein bisschen Licht in das Dunkel zu bringen, mit dem die Drei Fragezeichen sich umgaben.
»Frederick, warum bist du Journalist geworden?«
»Jedenfalls nicht, weil ich was verändern will. Wie alle anderen. Ha! Ganz ehrlich, ich find’s schon geil, wenn ich von dem leben kann, was ich schreibe. Das mache ich am liebsten. Mehr brauche ich nicht.«
»Und wieso bist du das dritte Fragezeichen? Du könntest doch auch Reporter sein. Schöne Reportagen, das ist doch die Königsdisziplin, oder etwa nicht?«
»Hab ich vergessen.«
»Quatsch.«
»Ja, hab ich natürlich nicht vergessen. War die Idee vom dritten Geschlecht. Arno und Lars können nicht gut schreiben. Und wenn so viele Namen und Zahlen und Daten und Gerichtsverfahren und so Zeug auftauchen, dann brauchen die einfach einen, der das so aufschreibt, dass das noch jemand begreift.«
»Das heißt, du schaffst gar nichts an? Du schreibst es bloß auf?«
»Meistens, ja. Außer Arno oder Lars haben so viel zu tun, dass ich mal einen anrufen muss. Aber darin bin ich nicht so gut.«
»Verstehe.«
Rieffen ging zum Getränkestand, um für die beiden noch ein Bier zu holen.
»Und wieso denkst du, ich könnte einen komischen Eindruck von euch haben?«, empfing sie ihn, als er wieder neben ihr stand.
Rieffen fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Na ja, der falsche Termin für das Meeting, zum Beispiel, und dass Arno die Geschichte schon abgegeben hatte, bevor du sie gelesen hast, solche Sachen.«
»Ja, könnte hinkommen.«
»Tut mir leid.«
»Tut dir leid, ja?«
»Ja.«
»Und was machst du dagegen? Also außer es mir zu sagen?«
»Ich verstehe ja, dass du misstrauisch bist, daher …« Rieffen sah sich um, wie um sicherzustellen, dass er nicht beobachtet wurde. Dann kramte er vier aneinandergetackerte DIN – A4-Blätter aus seiner Jacketttasche, die er Merle Schwalb reichte. »Das hier«, erklärte er, »kam gestern Abend anonym bei uns an. Auf unserer gemeinsamen E-Mail-Adresse. Der Absender ist nicht zurückzuverfolgen. Ich war als Einziger noch im Büro. Es sind Schmutz-Dossiers über die Mitglieder des Runden Tisches. Ich hab’s Arno und Lars nicht gezeigt und die E-Mail gelöscht.«
Merle Schwalb überflog das Dokument.
»Warum?«
»Weil ich erstens glaube, dass das aus einer ganz beschissenen Ecke kommt und die Absender bloß wollen, dass wir ihnen einen Gefallen tun. Und weil ich zweitens finde, dass die Situation angespannt genug ist, um das nicht gesehen zu haben.«
»Steht dir gut, Frederick«, sagte sie, und hoffte, dass es nicht allzu spöttisch
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