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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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kannte fast alle der Funktionäre, die zum Runden Tisch eingeladen worden waren, wenigstens den Namen nach. Einigen von ihnen war er sogar persönlich begegnet, auf Konferenzen oderbei Vorträgen. Sie mischten zumeist seit Jahrzehnten in der öffentlichen Debatte mit. Sie waren die öffentlichen Gesichter des Verbands-Islam in Deutschland. Aber nun war er, Samuel Sonntag alias Samson alias Pippin , im Begriff, das alles beiseitezuschieben, um an diesen Personen einen Verrat zu begehen. Und warum? Weil er alle Zweifel, die Sinn noch haben könnte, zerstreuen musste. Und weil die Funktionäre sich als das notwendige Opfer regelrecht anboten.
    Sie alle hatten in ihren jeweiligen Funktionen Dutzende Reden gehalten, Hunderte Hände geschüttelt, Tausende Menschen getroffen. Aber wer kennt schon jeden, dem er die Hand geschüttelt hat? Weiß alles über den, dem er im Vorbeigehen verspricht, ihm bei der Suche nach einer Lösung für sein Problem behilflich zu sein? Welcher gut integrierte Islamfunktionär wüsste nicht, dass er eine Brückenfunktion hat? Eine Brückenfunktion, wie schön das klingt, wie konstruktiv. Aber was, wenn das beinhaltet, seine Leute , wie man so schön sagt, da abzuholen, wo sie stehen ? Und was, wenn das bei einigen das 7. Jahrhundert ist?
    Ja, was dann?
    Das sieht dann gar nicht gut aus, Brücke hin, Brücke her. Dann macht man sich angreifbar. Verdächtig. Gerade jetzt. Wo doch die Kapitulation des Abendlandes schon in vollem Gange ist!
    Ich brauchte euch nur zu sagen, was ihr hören wolltet.
    Kurz war Samson überrascht über seine eisige Kalkulation, schob das unangenehme Gefühl jedoch ebenso kühl beiseite. Er ging davon aus, dass sich bei nahezu jedem der islamischen Mitglieder des Runden Tisches etwas finden lassen würde, das geeignet wäre, ihr an allen Frei- und Sonntagen wiederholtes Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Zweifel zu ziehen. Und das würde er ausnutzen.
    Der Vizechef der Assoziation der sunnitischen Moscheegemeinden zum Beispiel: Samson kannte aus den Vorrecherchen zu seiner eigenen Magisterarbeit dessen vor zwanzig Jahren auf Arabisch an der Universität von Dschidda eingereichte Doktorarbeit, wo der Mann seinerzeit mit einem Stipendium studiert hatte. Die Arbeit drehte sich um die Frage, unter welchen Umständen es einem Muslim erlaubt sei, in einem nichtislamischen Land zu leben und zu arbeiten. Im Zusammenhang betrachtet, der in diesem Fall darin bestand,dass der Sohn eines türkischen Gastarbeiters das einzige Angebot für eine kostenlose akademische Ausbildung wahrgenommen hatte, das ihm zur Verfügung stand, und zwar an einer wahhabitischen Hochschule in Saudi-Arabien, war es eine überraschend moderate Arbeit. Aber natürlich eignete sie sich trotzdem hervorragend, um den Mann als islamischen Chauvinisten zu porträtieren, wenn man es wollte. Oder wenn man es sollte. Oder wenn man es musste.
    Samson hatte den Mann zweimal getroffen. Er war überzeugt, dass er im Laufe der Jahre die Radikalen und Integrationsverächter in seiner Organisation so weit in den Hintergrund gedrängt hatte, wie es ihm möglich war, ohne als Verräter abgestempelt zu werden. Als Samson nun jedoch die Dissertation überflog, die er sich gerade in einem arabischen Online-Archiv besorgt hatte, machte es ihm keinerlei Mühe, zu finden, was Widukind zweifellos entzücken würde: Zitate, die den Verfasser als Radikalen zu entlarven schienen.
    Der Lebenserwerb und der dauerhafte Aufenthalt im Haus des Krieges ist dem Muslim nur zu einem der folgenden Zwecke gestattet: Die Kuffar zu schwächen, den Nutzen für die Umma zu mehren, medizinische Behandlung, Spionage und Mission. Manche Gelehrte zählen auch die Aneignung von Wissen dazu oder fassen sie unter Punkt zwei: den Nutzen der Umma mehren. Nahezu alle Gelehrten aber sind sich einig, dass der Muslim im Haus des Krieges ein Fremdkörper bleiben muss, außer er ist ein Spion der Umma, für den eigene Maßgaben gelten. Der Muslim im Haus des Krieges darf sich nicht mit den Kuffar gemein machen. Die Interessen des Muslims und des Kafirs entspringen nicht denselben Kategorien. Wenn Interessen sich zu überschneiden scheinen, handelt es sich um eine Täuschung.
    Drei Zitate übersetzte Samson, dann setzte er auf der Liste der Mitglieder des Runden Tisches einen Haken hinter den Namen des Funktionärs. Er wusste, dass es mehr nicht brauchen würde, um den Mann auf absehbare Zeit unmöglich zu machen.
    Den Rest des Tages über

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