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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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wie du und ich.
    Ein Fisch.
    Einfach nur ein weiterer Fisch.
    Ein weiterer Fisch.
    So wie Sinn denkt, dass ich bin wie er.
    So wie Missy denkt, dass ich bin wie sie.
    So wie …
    Ja.
    Wenn alles gut läuft.
    Noch etwas mehr als 24 Stunden.
    Und dann, dann ist es hoffentlich bald vorbei, und ich kann das mit Sumaya in Ordnung bringen.
    Tauch einfach, Samson, und denk an nichts. Alles kommt früh genug.
    Und dann war es so weit.
    Samson war sich unsicher gewesen, was er anziehen sollte. Einen Anzug? Jeans und T-Shirt, womit er bislang fast immer in der Zentrale aufgekreuzt war, erschienen ihm unangebracht, jedenfalls falls seine Vermutung sich bestätigen sollte, dass er an diesem Abend Aurelius begegnen würde. Andererseits aber, dachte er, wäre es womöglich verdächtig, sich plötzlich anders zu geben als in den drei Wochen zuvor. Nach einigem Überlegen entschied er sich für einen Kompromiss: Er behielt die Jeans und das blaue T-Shirt an, zog sich jedoch trotz der Abendwärme ein blaues Jackett über, das er seit Jahren nicht mehr getragen hatte.
    In diesem Aufzug war er vor einer Stunde losgefahren.
    Er hatte Schwierigkeiten gehabt, die Adresse zu finden. Dabei lag sie gar nicht weit von seiner eigenen Wohnung in Friedrichshain entfernt, an einer lauten und dreckigen Durchgangsstraße, die nach Marzahn führte. Er war schon überrascht gewesen, als er die Adresse auf dem Zettel, den Sinn ihm zwei Tage zuvor auf dem Balkon der Zentrale zugesteckt hatte, das erste Mal gesehen hatte. Er war sicher gewesen, dass das Treffen entweder im tiefsten Westberlin oder in Potsdams Villenviertel stattfinden würde. Vielleicht auch im Adlon oder einem anderen Hotel dieser Kategorie, aber sicher nicht an der Landsberger Allee, diese kilometerlange Erinnerung daran, dass Berlin fast überall nichts anderes war als eine große, arme, hässliche und gewöhnliche Stadt.
    Doch als er sich der genannten Hausnummer genähert hatte, da dämmerte ihm, was es mit der Adresse auf sich haben könnte. Er hatte die Gebäude bisher immer nur im Vorbeifahren und aus dem Augenwinkel wahrgenommen: ein Dutzend mittelgroße Bauten aus rotem Backstein, allesamt nahezu baugleich und augenscheinlich nicht in Betrieb, sondern leer stehend, zu klein für Fabrikhallen, zugroß, um darin zu wohnen, einige mit Schornstein, andere ohne, alle über eine gemeinsame Rasenfläche miteinander verbunden. Samson hatte immer vermutet, dass es sich um irgendein altes Werk handelte, einer dieser legendären Berliner Marken, die es schon lange nicht mehr gab oder die nur noch in China produzierten, Grundig oder Siemens oder was auch immer, er kannte sich damit nicht aus, aber er erinnerte sich daran, dass er immerhin einmal im Vorbeifahren gedacht hatte, eines Tages werden irgendwelche Leute auch diese Gebäude in Townhouses verwandeln, genau wie den alten Schlachthof an der Eldenaer Straße, exklusives Loft mit Gründerzeit-Charme mitten in der City oder so.
    Als er sich an diesem Abend den Gebäuden mit seinem Fahrrad näherte, hatte er zum ersten Mal festgestellt, dass sie tatsächlich leer standen, obwohl sie in gutem Zustand zu sein schienen. Außerdem standen sie in zwei Reihen, was von der Landsberger Allee aus nicht einzusehen war. Und die Gebäude waren nummeriert, nicht nur mit einer Hausnummer, die für alle offenbar dieselbe war, sondern mit eigenen Nummern, die auf weißen quadratischen Schildern standen, und deren Schriftart ihn sofort an die zwanziger Jahre denken ließ, obwohl er nicht hätte sagen können, warum.
    Haus Nummer 46B lag in der Mitte der zweiten Reihe. Kein Auto stand davor, keine Laterne brannte, nur das späte Abendlicht erhellte die Szenerie. Samson umrundete das Gebäude. Auf der Rückseite fand er einen Eingang, eine graue nichtssagende Metalltür. Davor stand ein Mann, im Anzug, aber zu grobschlächtig und muskulös, um sich nicht sofort als Wachschützer zu verraten.
    »Code?«
    »732.«
    Wortlos öffnete der Gorilla die Tür. Samson trat ein und hielt sofort den Atem an.
    Es gab nur einen einzigen Raum, eine riesige, hohe Halle. Auch von innen war das Gebäude rot geklinkert. An den Wänden hingen indes mehrere gigantische Gobelins, einige sicher ein Dutzend Quadratmeter groß. Die Atmosphäre ließ Samson an eine Kirche denken. Der Boden war aus Beton. Von der Decke hing, an einem meterlangen Stahlseil angebracht, ein Kronleuchter. Darunter, im Zentrum der Halle, stand ein alter Holztisch, eine Tafel von sichervier Metern

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