Radikal
sie und Ulf sich zurückzogen.
»Sind die beiden wieder zusammen?«, fragte Samuel, als sie alleine waren.
»Ja. Vorläufig.«
»Das freut mich.«
»Ja, wenigstens etwas Schönes in all diesem Chaos.«
»Sumaya, ich habe dich vermisst.«
»Hab ich nicht bemerkt.«
»Ich weiß.«
Sie konnte sehen, dass er litt. Es war ihr egal. Nein, es war ihrnicht egal. Sie litt ebenfalls, das war es. Sie fand es fair, dass er litt. Sie wollte nicht so fühlen. Aber sie hatte es nun einmal nicht in der Hand.
»Hör zu, ich erzähl dir alles, o. k.?«
»Ja, bitte«, sagte sie, und gab sich Mühe, dass wenigstens das nicht feindselig klang.
Eine volle Stunde lang ließ sie ihn reden, ohne ihn zu unterbrechen. Er berichtete, wie er sich Zugang zum Kommando verschafft hatte, wie die Treffen abliefen, wer die Mitglieder waren und welche Aktionen sie durchführten. Zunächst war sie irritiert, dass er so sachlich Bericht erstattete. Sie merkte, wie sie darüber noch wütender wurde. Doch dann wurde ihr klar, dass er sich angesichts ihrer Kühle nicht traute, Gefühle zu zeigen.
Also lächelte sie kurz, und augenblicklich änderte sich seine Erzählweise, und er ließ seine Zweifel einfließen, seine Ängste, entdeckt zu werden, und seine Mühe, die Fassade aufrechtzuerhalten.
»Und was hast du gemacht? An Aktionen , oder wie das bei euch heißt, meine ich?«
»Nicht bei uns, bei denen«, sagte er müde. »Aber das weißt du ja anscheinend schon.«
»Nein, das weiß ich eben nicht . Ich weiß nur von einer Sache, einem Abend, einer Moschee, einem Feuer, Samuel.«
»Ich hab immer nur Schmiere gestanden.«
»Wie oft?«
»Sumaya …«
»Wie oft?«
»Viermal.«
»Verdammt, Samuel!« Sie bemerkte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
»Sumaya, was sollte ich denn tun? Wenn du es genau wissen willst, ich bin sogar noch weiter gegangen. In gewisser Weise. Der Runde Tisch?«
»Ja?«
»Das war ich.«
»Was noch?«
»Sumaya, ich musste Sinns Vertrauen gewinnen, o. k.? Sonst können wir uns das alles sparen. Und das geht nur so.«
»Vielleicht war es ja gar nicht so eine gute Idee, wie du denkst!«
»Sumaya, denkst du, ich hab mich das nicht an jedem einzelnen Tag gefragt?«
»Aber?«
»Ich bin kurz davor. Ich bin mir sicher, dass Sinn mich einweihen will. In alles. Dass er zugeben wird, dass sie Lutfi getötet haben.«
»Wieso?«
Samuel berichtete ihr von der Einladung, die Sinn ihm auf dem Balkon übermittelt hatte.
Sumaya antwortete nicht. Sie bemerkte, wie sie zu frösteln begann. Es war unfair, dass sie so viel mehr über Samuels dunkle Seite erfuhr als über seine helle. Dass sie gezwungen wurde, sich auszumalen, wie er mit Mördern herumkumpelte, die ihn, weil Samuel diese schwarze Kunst offenbar beherrschte, für einen der ihren hielten.
Wie gut kann er sich eigentlich verstellen? Und was bedeutet das? Für ihn und für uns? Scheiße .
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Samuel, das ist alles ziemlich heftig«, sagte sie schließlich. »Ich hoffe nur, dass es sich am Ende gelohnt haben wird. Sonst weiß ich nicht, wie ich dir jemals wieder in die Augen sehen kann.«
»Ich weiß«, antwortete er leise. »Aber bitte, ich muss wissen, woher du von der Sache am Mehringdamm weißt.«
Sie erzählte ihm von Fadis Überwachungsaktion und dem Foto, das er gemacht hatte.
»Sumaya, was hat Fadi mit dem Foto gemacht?«
»Was denkst du? Er wollte damit zur Polizei gehen. Ich musste ihn einweihen. Er hat mir versprochen, dass er es nicht weitergibt.«
Samuel verbarg sein Gesicht in den Händen. Als er sie wieder anblickte, sah sie den Schmerz in seinen Augen.
»Sumaya, ich weiß, dass Fadi es weitergegeben hat. Sinn hat mit seinen Beziehungen dafür gesorgt, dass die Anzeige nicht weiter verfolgt wird.«
Sumaya fühlte sich, als habe ihr jemand mit einer Lanze ins Herz gestochen. Sie war wütend gewesen, ja, aber jetzt stand ihr Inneres in Flammen. »Sagt wer?«, schleuderte sie Samuel entgegen.
»Sinn«, antwortete er.
»Und du«, sagte sie langsam, »glaubst eher diesem Mörder als meinem Cousin? Raus hier!«
***
Samson hatte seine Tauchausrüstung schon nach der ersten Woche seiner Infiltration des Kommandos Karl Martell mit nach Potsdam gebracht. Bis jetzt war er noch nicht dazu gekommen, den See vor der alten Schule zu erkunden. Mit ziemlicher Sicherheit würde es dort noch viel weniger zu sehen geben als in der Ostsee, und ganz gewiss wartete dort kein Riff auf ihn. Aber als er am Tag nach
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