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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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seinem Wiedersehen mit Sumaya wieder in Potsdam ankam, hatte er kein größeres Bedürfnis, als zu tauchen. Ihr Rauswurf hatte ihn getroffen. Die ganze Nacht hatte er sich in seiner Wohnung in der Schreinerstraße den Kopf darüber zerbrochen, ob er zu weit gegangen war, ob sie recht hatte, ob das Foto noch auf anderem Wege an die Polizei gekommen sein könnte, ob seine ganze Idee von vornherein ein Fehler gewesen war und ob die Beziehung zu Sumaya, die mögliche Beziehung zu Sumaya, die hoffentlich nicht schon beendete Beziehung zu Sumaya, nicht viel wertvoller war als alles, was er hier zu erreichen versuchte.
    Er war ohne gesicherte Erkenntnisse eingeschlafen.
    Er war mit einem Kater aufgewacht.
    Und dann, als er nach Potsdam fuhr und anschließend den Fußweg vom S-Bahnhof zur alten Schule zurücklegte, hatte er sich vor sich selbst geekelt, weil er sich geradezu freute anzukommen. Warum? Weil ihm hier niemand widersprach? Weil das Kommando ein geschützter und vertrauter Raum war, selbst für ihn, den Eindringling?
    Am Mittag hatte es eine kurze Besprechung gegeben. Er hatte mitgeholfen, ein Rundschreiben zu formulieren. Es richtete sich an jene Salonbesucher in ganz Deutschland, die eigene Geschäfte und Unternehmen betrieben, und in dem Dokument wurden ihnen von Missy geprüfte und für rechtlich einwandfrei befundene Möglichkeiten aufgezeigt, die Behandlung oder Bedienung oder Einstellung von verschleierten Frauen zu verweigern. Man hatte ihn für seineFormulierungen gelobt, er hatte sich gefreut. Und sich danach nur noch elender gefühlt. Und das, wo er doch für den morgigen Tag, für den Termin, zu dem ihn Sinn eingeladen hatte, einen klaren Kopf gebraucht hätte.
    Samson schnappte sich Tarierjackett, Luftflaschen, Flossen, Maske und Gewichte, und trottete vorsichtig zum Seeufer hinunter. Nichts hören, außer dem eigenen Atem. Nicht erreichbar sein. Den Neoprenanzug hatte er sich bereits übergestreift. Vom Grundstück der alten Schule waren es nur ein paar Dutzend Meter bis zum Seeufer, das von einem schmalen und ausgetretenen Uferweg gebildet wurde. Bäume säumten den See, aber es gab genügend Lücken, um zum Schwimmen – oder in seinem Fall zum Tauchen – ins Wasser zu steigen.
    Als er gerade sein Jackett mitsamt der Flasche angelegt hatte, hörte er eine Frauenstimme.
    »Kann ich helfen?«
    Es war Missy . Er hatte sie nicht gesehen, aber sie hatte zwischen zwei Bäumen einen gelb-rot gestreiften Campingstuhl aufgestellt und ließ ihre Füße im Wasser baumeln. Sie war nur mit einem Bikini bekleidet. Ihre Haut war möglicherweise eine Nuance zu bleich, doch es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass sie ausgesprochen attraktiv war. Samson hatte sie schon in dem grauen Etuikleid, das sie in Sinns Salon getragen hatte, anziehend gefunden, rein äußerlich jedenfalls. Gisela Munkelmann war sehr hübsch: grazile Glieder, schmale Hüften und sehr lange Beine.
    »Danke, es geht schon! Es ist nur ein bisschen beschwerlich.«
    »Wenn ich Sie wäre, Pippin , würde ich hier nicht tauchen!«
    »Wieso?«
    »Ich war einmal an dieser Stelle schwimmen, das Wasser hier ist voll mit abgerissenen Angelschnüren und baumelnden Angelhaken. Ich gehe immer an der übernächsten Einstiegsstelle in der Richtung baden.« Mit ihrem langen Arm deutete sie nach rechts.
    »Ah, das ist gut zu wissen, danke.«
    »Nichts zu danken.«
    Samson beschloss, dass es blöd aussehen würde, wenn er ihren Rat nicht befolgte, und machte Anstalten, langsam weiterzustapfen,als Gisela Munkelmann ihn erneut ansprach. »Setzen Sie sich doch ein bisschen zu mir!«
    Er hatte gehofft, dass sie das sagen würde. Er hatte schon mehrmals in den vergangenen Tagen nach einer Gelegenheit gesucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ihre Rolle, und möglicherweise die ihres Bruders, waren ihm noch völlig unklar. Zudem hoffte er, dass sie als Gespielin des Anführers möglicherweise mehr wusste als die anderen Mitglieder. Dafür jedenfalls hielt er sie mittlerweile. Es wurden zwischen den beiden arg viele Hände auf Knie gelegt. Und außerdem ließ Sinn nicht den Hauch von Trauer über den Selbstmord seiner Frau erkennen, wofür ein Verhältnis mit der Juristin eine Erklärung sein könnte.
    Lächelnd zog er das Tarierjackett aus, lehnte es sorgfältig an eine junge Birke und begann, sich aus seinem Anzug zu schälen, denn außerhalb des Wassers war es dafür zu heiß.
    Während er sich neben sie setzte, rechnete Samson halb damit, dass sie als Erstes

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