Radikal
angehauchter Steinzimmerspringbrunnen in der Ecke vor sich hin gurgelte wie ein Mann, dem man ein Schmetterlingsmesser in den Lungenflügel gerammt hatte. Doktor Gabor fand das vielleicht entspannend. Agnes offenbar auch. Er nicht. Er fand es auch nicht entspannend, dass er seine Schuhe ausziehen musste und auf dem Fußboden sitzen sollte, Agnes gegenüber, die mit ihren Armen sofort ihre Knie umfangen hatte und auf einmal so zerbrechlich aussah wie eine Ballettschülerin, was durch die Tränen, die ihr die Wangen herunterliefen, nur verstärkt wurde.
Dass er ihr gesagt hatte, jetzt, wo der Mann in U-Haft sei, könne er, wenn sie noch darauf bestehe, eine Stunde frei räumen, hatte sie zum ersten Mal seit Wochen lächeln lassen. Sie hatte augenblicklich zum Telefon gegriffen und Doktor Gabor angerufen.
Aber als er dann dort gesessen hatte, auf den Reismatten oder was auch immer das war, zwischen den Bonsaipflanzen und mit diesem Gurgeln im Ohr, da wäre er am liebsten schon wieder gegangen.
»Das ist doch nicht normal!«
Nein, vielleicht nicht. Vielleicht war er ja nicht normal. Aber war denn das automatisch schlimm?
Ansgar Dengelow bestellte noch ein Bier.
»Mir fällt auf, Herr Dengelow, dass sie die emotionale Abwesenheit, die Ihre Frau beklagt, mit dem Verweis auf Ihre Arbeit beantworten.«
Und das war sogar noch vor seinem Ausbruch gewesen.
»Herr Dengelow, macht Ihnen Ihre Arbeit eigentlich Freude?«
Freude.
War das wirklich ein altmodisches Wort oder kam es ihm bloß so vor?
Wer war schon aus Freude bei der Polizei? Man fing vielleicht aus Idealismus an, aber irgendwann blieb man Polizist, weil irgendjemand es ja tun musste. Er hatte einmal einen Arzt vernommen, ein merkwürdiger Todesfall in einem Krankenhaus, der Mann war unschuldig gewesen, wieso tun Sie sich diese Schichten an, hatte er gefragt, aus Interesse, denn er hatte den Dienstplan des Mannes auf dem Tisch gehabt. Seine Antwort war dieselbe gewesen: Irgendjemand muss es ja tun.
Freude. Was ihm auf jeden Fall keine Freude machte, das war, von Doktor Gabor vernommen zu werden. Irgendjemand musste es ja tun. Das klang so altruistisch. Aber war es nicht in Wahrheit bloß arrogant? Und vielleicht war es ja auch bequem. Bin bei der Arbeit. Komme später. Muss noch mal ins Büro. Ich kann leider nicht. Wie oft hatte er diese Sätze gesagt?
»Es ist doch alles in Ordnung, ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht, wo das Problem liegt. Ich bin verheiratet, ich habe einen Sohn, einen Job, ein halb abbezahltes Haus, und wir machen zweimal im Jahr Urlaub.«
»Ansgar, verstehst du denn nicht, dass das nur die Fassade ist?«
Doktor Gabor ermunterte sie mit einer Geste, den Dialog fortzuführen.
»Was meinst du?«
»Heiraten und zusammen glücklich sein, das ist doch nicht dasselbe! Ein Haus zu besitzen und ein Zuhause zu haben auch nicht!«
»Was willst du denn noch?«
»Ansgar, das muss doch alles auch mit Sinn gefüllt werden, mit Bedeutung, mit Wirklichkeit.«
»Agnes, das ist mir zu esoterisch. Man hat ein Haus, damit es nicht reinregnet.«
»Und warum hast du eine Frau? Einen Sohn?«
Emotionale Abwesenheit.
Die Wahrheit war, dass ihm weder Agnes noch ihr Seitensprung egal waren. Die Wahrheit war, dass er bloß verlernt hatte, intuitiv zu reagieren. Einfach so, wie er fühlte. Er war immer stolz auf Agnes gewesen, weil sie sich nie beschwert hatte. War das eine Lüge gewesen und ihr Fremdgehen die Offenbarung? Oder hatteer nicht viel mehr die ganzen Jahre geahnt, dass es ihr sehr wohl etwas ausmachte, aber gehofft, dass sie es schon aushalten, ihn damit nicht behelligen würde? Und jetzt brach das alles auf einmal auf ihn herein. Aber so einfach konnte es doch auch nicht sein. Fassade. Sie konnte das doch nicht alles mit einem Wort wegwischen.
»Agnes, es tut mir leid, wenn du nicht so glücklich bist, wie du es gerne wärst. Aber wir sind verheiratet, wir haben einen Sohn, wir haben ein Haus – das ist doch nicht alles eine Lüge!«
»Doch, Ansgar«, hatte sie leise geantwortet. »Nur weil alles von außen gut aussieht, muss es nicht richtig sein.«
Dann hatte sein Handy geklingelt.
»Ansgar, hättest du nicht wenigstens dein Scheißtelefon ausstellen können? Dass ich dich betrogen habe, ist dir vollkommen egal, aber wehe deine beschissene Dienststelle erreicht dich nicht sofort, das ist doch nicht normal!«
»Agnes, du musst eben damit klarkommen, dass du mit einem der wichtigsten Polizisten des Landes verheiratet bist,
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