Radikal
Stimme.
»Sie wissen doch, wir übernehmen jeden Fall«, sagte Erlinger lächelnd.
»Arbeitstitel, Arbeitshypothese?«, fragte das dritte Geschlecht.
»Allahs Attentäter: Das wachsende Netzwerk militanter Gotteskrieger in Deutschlands Untergrund«, dichtete Frederick Rieffenaus dem Stegreif. Rieffen war bekannt dafür, dass er in kürzester Zeit aus Zulieferungen verschiedener Reporter einen Text wie aus einem Guss herstellen konnte, wovon freilich meistens seine beiden engsten Kollegen Erlinger und Kampen profitierten.
»O. k.«, beschied das dritte Geschlecht.
»Moment, bitte!«
Ein Ruck ging durch die Reihen. Wollte da jemand einen gerade gefassten Beschluss infrage stellen?
»Ich würde gerne mitmachen«, hörte Merle Schwalb sich selbst sagen.
»Wieso?«, fragte die Herausgeberin barsch.
»Na ja, wie Sie ja wissen, habe ich die Ursprungsmeldung gemacht. Ich habe in dieser Sache funktionierende Drähte ins BKA , aber auch zum Büro von Latif. Und vielleicht wäre es ja ein schöner Strang innerhalb der geplanten Geschichte, wenn man quasi in Echtzeit mitverfolgt und beschreibt, wie Lutfi Latif mit dieser Gefahr nun umgeht. Das ist doch eine super Folie, um die Bedrohung durch Islamisten an einem konkreten Fall darzustellen.«
Das dritte Geschlecht rieb sich das Kinn. »You got it«, dekretierte sie schließlich.
Merle Schwalb nickte dankbar. Sie würde mit den Drei Fragezeichen zusammenarbeiten. Sie würde mit einer großen Geschichte zu einem heißen Thema ins Blatt kommen. Es war der beste Montag seit Wochen.
***
Um kurz nach elf hatte Sumaya den Stapel mit den insgesamt 64 Drohbotschaften abgearbeitet. Aber was sie Lutfi Latif empfehlen sollte, wusste sie immer noch nicht. Sumaya fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und atmete tief aus. Sie blickte auf den Notizzettel, auf dem sie ihre spärlichen Erkenntnisse zusammengefasst hatte: Kein einziger Absender drohte damit, dass er selbst oder jemand, den er zu kennen vorgab, Lutfi Latif demnächst umbringen werde. Außerdem gab niemand vor, im Namen einer bestimmten oder gar bekannten Gruppe oder Organisation zu sprechen.
Das war der einfache Teil.
Aber was hatte es zu bedeuten, dass gar nicht alle Drohungen oder Todeswünsche oder was auch immer sie genau waren, von islamistischen Extremisten stammten?
Es hatte eine Weile gedauert, bis sie darauf gestoßen war. Denn das erste Dutzend Zusendungen hatte im Grunde aus Variationen der ersten beiden E-Mails bestanden. Mal waren sie in noch schlechterem, mal in erheblich besserem Deutsch abgefasst, einige auch auf Arabisch oder Türkisch. Türkisch verstand Sumaya nicht, aber die unweigerlichen Stichworte Murtadd, Munafiq oder Fitna schlossen jeden Zweifel aus, welches Denken dahinterstand.
Doch dann war sie auf einen handgeschriebenen Brief gestoßen.
Guten Tag, Herr frischgebackener Abgeordneter!
Nur weil irgendein Multikulti-Fetischist Ihnen in irgendeinem albernen Amt einen deutschen Pass ausgestellt hat, gehören SIE noch lange nicht zum deutschen Volk. Nicht dass mir persönlich besonders viel an der »Demokratie« liegt. Und in Ihrer »Partei« muss man ja ohnehin schwul oder behindert oder Neger oder alles drei sein, um mitreden zu dürfen. In jedem Fall aber sollten Sie sich nicht allzu sicher fühlen. Es gibt noch ein paar aufrichtig denkende Menschen in diesem geschundenen Land, die es nicht hinnehmen werden, dass Sie einfach nicht begreifen, wo Ihr Platz ist. Ihr Grinsen wird Ihnen noch vergehen.
Mit deutschem Gruß,
der nationale Widerstand
Wie passte ein offensichtlich aus Nazikreisen stammender Brief zu der Globus – Meldung, in der nur von Islamisten die Rede war? Und einige Minuten später war sie auf eine weitere Zuschrift gestoßen, die eine ähnliche Frage aufwarf.
Herr Latif!
Der Islam ist eine Religion des Friedens? Machen Sie sich doch nicht lächerlich! Sie halten Ungläubige für Vieh (Koran 9,5) und treten dafür ein, sie alle zu töten (9,123). Sie sind dafür, Frauen zu schlagen (4,34), Kinder sexuell zu missbrauchen (wie Ihr Prophet es getan hat), sich an keine Gesetze zu halten (66,2) und keinen Frieden mit den Ungläubigen zu schließen (47,36).
Natürlich haben Sie in Ihrem Wahlkampf auch aus dem Koran zitiert. Aber merkwürdigerweise immer andere Stellen. Wieso stehen Sie nicht einfach zu Ihrer Politreligion? Sagen Sie es doch, wie es wirklich ist! Sie hätten nichts zu befürchten, der Koran ist ja immer noch nicht verboten. Denn das christlich-jüdische
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