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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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haben es ja auch geschrieben, dass einige der Absender der Drohungen sich ins Umfeld von Gefährdern zurückverfolgen lassen.«
    »Kann sein.«
    Gefährder . Noch mehr Eingeweihten-Kauderwelsch. Merle Schwalb wusste nicht, wann dieser Begriff eingeführt worden war. Mit Sicherheit aber nach dem 11. September 2001. Die Sicherheitsbehörden bezeichneten jedenfalls all jene Menschen als Gefährder, denen sie zutrauten, zu jedem gegebenen Zeitpunkt einen Terroranschlag zu planen oder dabei zu helfen. Es handelte sich um rund 200 Personen, soweit sie wusste. Und die wurden, zumindest in der Theorie, dauerhaft unter Wind gehalten – was wiederum Behördensprech war für »observieren«.
    »Über wen reden wir denn?«
    »Na ja, über gar keinen.«
    »Wie bitte?«
    »Ich kenne keinen Gefährder, der dem MdB was geschrieben hat«, sagte Dengelow betont langsam.
    »Jetzt bin ich verwirrt.«
    »Dabei haben Sie es doch so schön aufgeschrieben«, lachte Dengelow. »Hören Sie, ich hab Ihren Text sogar vor mir.« Kurz hörte Merle Schwalb es rascheln. Dann las Dengelow aus ihrem eigenen Artikel vor: »Einige ließen sich aber dem Umfeld sogenannter islamistischer Gefährder zuordnen, heißt es in Sicherheitskreisen. Ich denke, das kann man so stehen lassen.«
    »Was denn nun? Gefährder oder nicht?«
    »Umfeld, Frau Schwalb, Umfeld !«
    »Verstehe. Zu den Absendern gehören also Kontaktpersonen bekannter Gefährder.«
    »So ähnlich.«
    »So ähnlich oder genau so?«
    »Beides.«
    »Herr Dengelow, Sie machen mich wahnsinnig. Gibt es Absender von Drohungen, die Kontaktpersonen von bekannten Gefährdern sind?«
    »Habe ich so gehört, ja.«
    »Und es gibt noch andere, die in irgendeiner Beziehung zu bekannten Gefährdern stehen?«
    »Beziehung ist gut, Frau Schwalb. Warm, ganz warm!«
    »Ehepartner? Kinder? Eltern? Geschwister?«
    »Zum Beispiel.«
    »Aha, o.   k. Und die Gefährder, über deren Bekannte und Verwandte wir hier reden: Sind die altbekannt?«
    »Zum Teil.«
    »Der größere Teil?«
    Dengelow seufzte.
    »Ja, Frau Schwalb.«
    »Und über wen reden wir da?«
    »Gaaaanz alte Bekannte«, sagte Dengelow leicht genervt.
    »Ulm?«
    »Auch.«
    »Scheich Nadir?«
    »Auch.«
    Ulm. In Ulm, ausgerechnet, bestand seit Jahren eine offenbar nicht in den Griff zu kriegende Szene islamistischer Radikaler, das wusste selbst Merle Schwalb. Vereine, Clubs und Begegnungszentren waren immer wieder dichtgemacht worden, Moscheen durchsucht, Verdächtige und Auffällige in Dutzenden Razzien ausgeforscht worden. Aber die Szene blieb einfach bestehen. Seit Jahren tauchten immer wieder unweigerlich in Ulm radikalisierte Islamisten auf den Dschihad-Schlachtfeldern der Erde auf: in Tschetschenien, in Waziristan, im Jemen, neuerdings sogar in Somalia. Es waren Migranten darunter, aber auch etliche deutsche Konvertiten. Merle Schwalb wusste, dass die Ulmer Szene von Nachrichtendiensten mehrerer Länder unterwandert worden war. Vermutlich war jeder dritte Muslim in Schwaben ein Informant. Aber all das schien nichts zu ändern. Es ging einfach immer weiter. Sicher, die Radikalen wurden vorsichtiger, hieß es. Allerdings nur ein bisschen. Als schien esihnen letztlich egal zu sein, wenn ab und an einer von ihnen aus dem Verkehr gezogen wurde. Es blieben ja auch offenkundig noch genügend viele übrig.
    Wenn das Wort Ulm fiel, das hatte Merle Schwalb selbst schon beobachtet, dann zuckten sogar die Drei Fragezeichen. Scheich Nadir, den die Behörden für den Paten der Szene in der kleinen Donaustadt hielten und der unermüdlich dafür sorgte, dass sie ein Zentrum des europäischen Dschihadismus blieb, hatte einen ähnlichen Effekt.
    »So, so, die Leute vom Scheich hängen mal wieder mit drin. Und deshalb nehmen Sie es auch so ernst«, bohrte sie weiter.
    »Wir nehmen Ulm immer ernst«, sagte Dengelow tonlos. Ulm war eine Wunde. Für jeden in Dengelows Branche.
    »Ich brauche noch mehr Namen von Gefährdern, deren Umfeld Briefe an Lutfi geschrieben hat«, sagte Merle Schwalb. Sie spürte, dass Dengelow längst mehr gesagt hatte, als er vorgehabt hatte – und sie hoffte darauf, dass es ihm nun auch nicht mehr drauf ankommen würde. Ironischerweise, das hatte Frederick Rieffen ihr einmal auf der Globus – Weihnachtsfeier erzählt, arbeiteten Vernehmungsbeamte nach demselben Prinzip. Wenn die erste Bresche geschlagen war, ging es oft von ganz alleine.
    »Wie stellen Sie sich das vor, Frau Schwalb?«
    »Wir spielen das Ja-nein-Spiel,

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