Radikal
sich zu einem angedeuteten Lachen. »Aber vielleicht fällt es Ihnen dann ja leichter, wenigstens unseren zweiten Vorschlag anzunehmen. Es ist so: Wir haben richtig gute Leute. Aber wir haben auch extrem viel zu tun. Wir werden Ihnen alles aus unseren täglichen Auswertungen mitteilen, das für Sie von Interesse sein könnte. Aber während wir Ihnen ohne Weiteres vier Personenschützer abstellen könnten, haben wir nicht genug Kapazitäten in der Analyse und bei den sprachkundigen Islamwissenschaftlern, dass sich jemand wirklich rund um die Uhr um Ihre Bedrohungslage kümmert. Deshalb halten wir es für sinnvoll, dass Sie jemanden zu diesem Zweck engagieren. Es gibt zum Beispiel ein paar Firmen, die das können, private Sicherheitsunternehmen. Auch ein paar freischaffende Experten.«
Dengelow war sich fast sicher gewesen, dass Latif auch diesen Vorschlag ablehnen würde. Stattdessen aber nickte er bedächtig und bat um Vorschläge. Dengelow notierte ein paar Namen auf einem Zettel. Dann blickte er auf seine Uhr. Es war spät geworden, er hatte noch viel Arbeit, die auf seinem Schreibtisch auf ihn wartete. Dankbar nahm er wahr, dass Lutfi Latif das Signal verstand. Der Ermittler verabschiedete sich von den dreien und fuhr im Fahrstuhl ins Erdgeschoss.
Kurz darauf saß er in seinem Wagen und fuhr nach Treptow in die Zentrale. Er war merkwürdig missgestimmt. Er wusste auch so, dass seine Arbeit nicht glamourös war. Dass er kein Geheimagent war, der einfach irgendwo hinflog und mit Antworten wiederkam. Dass sie viel zu wenig wussten. Dass sie auf das Gequatsche, die Gerüchte, die Verleumdungen und die unbezahlten Rechnungen von Figuren angewiesen waren, denen niemand einen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Dass die Gefahren in diesem beschissenen Krieg immer nur abstrakt waren. Wie er dieses Wort mittlerweile hasste. Abstrakt! Immer war die Gefahrenlage abstrakt. Nur manchmal, da war sie konkret . Aber dann war es zu spät. Abstrakt heißt nichts anderes als gefühlt , dachte Dengelow. Eine einzige beschissene Fühlerei! Wann hat man es schon mal mit wirklichem Wissen, mit Fakten, mit Beweisen zu tun? Als Polizist arbeitete er heute so eng mit den Nachrichtendiensten zusammen, wie es gerade noch vertretbar war. Aber auch das brachte kaum etwas, auch die Kollegen vom BND und vom Verfassungsschutz schleppten keine Geheimpapiere an, in denen sich die Pläne der Gegenseite nachlesen ließen wie im Kalten Krieg. Nichts, was ihre Arroganz rechtfertigen würde. Auch die fühlten nur. Und hörten Sachen. Unüberprüfbare Sachen für gewöhnlich. Seine eigene Behörde hatte mittlerweile mehr und weiterreichende Befugnisse als je zuvor. Doch was nutzte das, wenn die Gegenseite wie Quecksilber war, überall und nirgendwo zugleich, blitzschnell und nicht zu greifen.
All das wusste Ansgar Dengelow, und es war nicht das erste Mal, dass ihn diese bitteren Erkenntnisse geballt heimsuchten. Damit konnte er umgehen. Nicht aber damit, wenn man ihn spüren ließ, wie offensichtlich all das war.
***
Nachdem der BKA – Beamte das Büro verlassen hatte, verabschiedete sich Cord von Sumaya und Lutfi Latif, er hatte sich zum Mittagessen verabredet, wie er sagte. »Ich weiß nicht, ob Sie die schon kennen, aber im Paul-Löbe-Haus gibt es eine ganz ordentliche Kantine«, sagte er beim Hinausgehen. »Jedenfalls besser als die hier im Haus!«
Sumaya bedankte sich. Ihr erster Eindruck von Cord war gewesen, dass er eher eigenbrötlerisch war. Aber nun zeigte er eine aufgeschlossene Seite. Eigentlich, dachte sie, ist er ganz nett. Sie wollte schon wieder in ihr Büro zurückgehen, als Lutfi Latif sie mit einer Geste aufhielt.
»Sumaya, Sie wollten mit vorhin noch etwas erzählen. Außerdem muss ich ja noch diese Journalisten zurückrufen und brauche Ihre Empfehlungen. Wollen wir vielleicht auch etwas essen gehen und dabei reden?«
Sumaya willigte ein, und der Abgeordnete schlug mit einem Lächeln vor, Munkelmanns Bemerkung zum Trotz, die Kantine im Jakob-Kaiser-Haus auszuprobieren. Sie befand sich, wie sie feststellte, im Kellergeschoss des Gebäudes und entpuppte sich als eine Art gehobener Mensa. Mehrere Tagesgerichte wurden angeboten. Sumaya entschied sich für einen Salat, Lutfi Latif für Pasta mit Pesto. Nachdem sie beide mit ihren Tabletts an einem einzeln stehenden Tisch Platz genommen hatten, eröffnete Lutfi Latif das Gespräch.
»Sie hatten mich gefragt, ob ich weiß, dass nicht alle Drohbriefe von Islamisten sind. Was meinten Sie
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