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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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müssen.«
    »Sie lassen mich jetzt sofort hier herein!«
    »Niemand darf hier hinein«, blaffte der Rothaarige.
    » Warum wollen Sie mich kontrollieren?«
    Der Rothaarige ging einen Schritt auf Sumaya zu und stellte sich breitbeinig vor ihr auf. »Weil Sie eine von denen sein könnten, wenn Sie es genau wissen wollen.«
    »Eine von denen ?«
    »Junge Frau, jetzt stellen Sie sich bitte nicht so an. In diesem Haus wohnen jede Menge Muslime, aber Sie sind die Einzige, die sich so anstellt.«
    Sumaya merkte, wie ein Kribbeln in ihrem Nacken hochstieg. » Wie bitte? Ach, dann wissen Sie also schon, wer den Anschlag verübt hat, ja? Haben Sie es schon weitergemeldet, Herr Wachtmeister? Sich eine Belohnung für Ihren Scharfsinn abgeholt? Es hat gerumst, war wohl ein Muslim, ja? Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich hatte da auch so ein Gefühl, wissen Sie, heute Morgen, in dem Studio. Ich fiel da so hin, und dachte noch: Na, wenn die Bombe mal nicht direkt von Allah kommt!«
    »Nu beruhigen Sie sich mal, so haben wir es nicht gemeint. Wir haben auch nur unsere Vorschriften.«
    In diesem Moment öffnete Fadia Latif die Wohnungstür von innen. »Meine Herren, die junge Frau darf hier rein«, sagte sie ruhig. »Es ist nett, dass Sie aufpassen, aber Frau al-Shami darf herein. Und Sie brauchen Sie auch nicht zu kontrollieren.«
    Der Hagere und der Rothaarige gehorchten.
    Fadia Latif führte Sumaya hinein, schloss die Tür und umarmte sie. »Es ist nett, dass du gekommen bist.«
    »Ich weiß auch nicht, warum ich das gerade gemacht habe. Es tut mir leid.«
    »Sumaya, du bist durcheinander. Du warst schließlich dabei. Das ist doch klar.«
    Sumaya wusste nicht, was sie sagen sollte, also nickte sie. Sie sah sich um. Es war eine freundliche, helle Wohnung, der kurze Flur hinter der Tür führte direkt in ein großes Wohnzimmer. Der Boden bestand aus Dielen, aber der größte Teil des Fußbodens war mit orientalischen Teppichen ausgelegt, die meisten waren rot, bei einigen dominierten die Blautöne.
    Sumaya streifte unwillkürlich ihre Schuhe ab. Die Wände waren allesamt weiß verputzt. Eine Wand war ganz mit gerahmten Familienfotos bedeckt, die beiden Töchter vor den Pyramiden, Lutfi und Fadia vor einem Orangenbaum, alle vier an einem Strand … Eine zweite Wand, die größte, zierten Repliken maurischer Torbögen, einige aus dunklem Holz geschnitzt, andere aus abwechselnd karminrot und weiß gestrichenem Ton geformt. Eine gerahmte historische Schwarz-Weiß-Aufnahme Jerusalems schien schwerelos über einer Sitzecke zu schweben. Die Möbel waren aus dunklem Holz.
    Fadia Latif dirigierte sie in die Sitzecke. Sie setzten sich nebeneinander.
    »Ich weiß nicht was ich sagen soll«, begann Sumaya stockend. »Es ging so schnell. Ich kann es noch gar nicht verstehen.«
    Fadia Latif nahm Sumayas Hände in ihre. »Ich auch nicht.«
    Sumaya blickte Fadia an. Die ernsten, tiefen Augen. Die lautlosen, ruhigen Bewegungen. Wie stolz sie ist!
    »Haben Sie, ich meine, hat das Krankenhaus … wie geht es Ihrem Mann?«
    »Sie machen gerade eine Notoperation. Ich weiß es nicht.«
    Eine Träne lief über Fadia Latifs ebenmäßiges Gesicht. Sie tat, als sei sie nicht da, wischte sie auch nicht weg.
    »Ich wollte gerade Tee kochen, vielleicht möchtest du auch welchen?«
    »Ja, sehr gerne. Wenn ich ein bisschen bleiben darf?«
    Fadia Latif nickte. »Natürlich!«
    Fadia Latif stand auf, um in die Küche zu gehen.
    In diesem Moment war der Anruf aus dem Krankenhaus gekommen.
    Dieser Schrei.
    Sumaya krallte sich an Mina fest, als die Bilder ein zweites Mal vor ihrem inneren Auge erschienen: Wie sie die Treppe zu den Mädchen hochgegangen war. Wie sie in den Augen der Kinder lesen konnte, dass sie genau spürten, dass etwas Schreckliches geschehen war. Wie sie zitterten, als Sumaya sie in den Armen hielt. Und dann, nach einer Ewigkeit, nach fünf Minuten oder dreißig Minuten oder nach einer Minute oder einer Stunde, Sumaya hatte keine Ahnung, hatte sich die Tür des Kinderzimmers geöffnet und Fadia Latif war eingetreten. Sie legte Sumaya eine Hand auf die Schulter. Sumaya verstand, erhob sich, ging leise die Treppe hinunter und verließ die Wohnung von Lutfi Latif, der nicht mehr lebte. Und das letzte Geräusch, das sie hörte, bevor sie die Tür schloss und wieder vor den beiden Polizisten stand, war das Weinen der Kinder.
    »Ruhig, Susu, ganz ruhig!«
    ***
    Samson war froh, als Sumaya ging. Er hätte es nicht mehr lange ausgehalten. Als er sicher

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