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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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er mit runtergenommen. Er drapiert die Fahne an der freien Wand, wozu er die Tischtennisplatte zur Seite rücken muss. Dann stellt er Kamera und Stativ auf. Drückt die REC – Taste, sieht das rote Licht blinken, gut. Er liest noch einmal die Notizen durch, die er oben auf den Block gekritzelt hat, erfindet rasch noch die Brigade Abu Laith al-Libi , ergänzt die al-Qaida-Filiale »Nördlich des Mittelmeers«, vermummt sich und fängt an zu sprechen. Er braucht zwei Versuche, vielleicht drei, egal. Dann geht er wieder nach oben, öffnet auf seinem Laptop ein Schnittprogramm und tippt schnell arabische Untertitel ein. Er schneidet den Anfang und das Ende raus, bis er das hat, war er braucht. Er lässt einen Stimmenverzerrer über die Datei laufen und verpixelt seine Augen. Er komprimiert die Datei und lädt sie auf eine kostenlose Uploader-Seite. Sein Laptop verbindet sich natürlich nur über einen Tor-Server mit dem Internet, er will ja keine Spuren hinterlassen. Er weiß, wie das geht. Dann loggt er sich in seinem Chatroom ein. Oder in seinem Mailprogramm. Auf jeden Fall versendet er den Link. An wen? An seine drei besten Freunde. Er weiß, es wird nicht zu stoppen sein. Und er weiß, sie werden keine Fragen stellen.
    Der Mann schaut auf seine Küchenuhr. Es ist 10 Uhr 30, wenn er schnell und sorgfältig war: Al-Qaida nördlich des Mittelmeeres hat sich soeben zu einem Anschlag auf Lutfi Latif bekannt. Noch 14 Minuten, bis Samson den Link erhält. Noch 45 Minuten, bis die Globus – Redakteurin Merle Schwalb eine Kopie des Videos zu den Drei Fragezeichen schleppt. Weniger als drei Stunden, bis das BKA erklärt, das Video sei wahrscheinlich authentisch.
    Samson spürte, wie seine Gedanken arbeiteten und seine Vision einer Prüfung unterzogen.
    Wäre es möglich?
    Ja.
    Aber ist es plausibel?
    Nein. Wer hat ein Stativ, eine Kamera, dickes Klebeband, eine al-Qaida-Fahne und Internetadressen von Gratis-Uploadern zur Hand, während er das Morgenmagazin schaut?
    Gut. Aber kann ich es ausschließen?
    Nein. Das kann ich nicht.
    Und ist diese Möglichkeit wahrscheinlicher, als dass das Video von den Tätern stammt?
    Ebenfalls nein. Die Täter hätten viel mehr Zeit gehabt, es vorzubereiten.
    Also ist die wahrscheinlichste Variante, dass die Bombenleger auch das Video produzierten?
    Ja.
    Und wieso ist das Video dann nicht auf den Großen Drei zu finden?
    Weil die Bombenleger alleine handelten. Ohne Anweisungen von außen. Ohne Connection zu al-Qaida.
    Und ist das plausibel?
    Ja. So etwas hat es schon gegeben.
    Und wieso dann »Brigade Abu Laith al-Libi«? Und eine Filiale »nördlich des Mittelmeeres« erfinden? Wieso den Eindruck erwecken, es käme von ganz oben?
    Weil es von ganz oben kam!
    Aber ich dachte, es kam gerade nicht von ganz oben?
    Wenn sie den Willen der Scheichs umsetzen, ist es doch von ganz oben! Sie brauchen sie nicht um Erlaubnis zu fragen. Sie wissen, was sie tun sollen. Sie müssen es ihnen nicht persönlich sagen. Und wenn die Täter sagen, sie seien die Brigade Abu Laith al-Libi, dann sind sie es. Und wenn sie sagen, sie seien al-Qaida nördlich des Mittelmeeres, dann sind sie es!
    Auf seinem Zweitrechner öffnete Samson eine willkürliche Auswahl von Nachrichten-Websites. ArgusOnline , CNN , Haaretz , Dawn , washingtonpost.com , aljazeera.net , The Guardian : Alle berichteten von dem Anschlag ganz oben auf ihren Homepages. Alle zitierten BKA und Bundesinnenministerium mit der Aussage, das Bekennervideo von al-Qaida sei wahrscheinlich authentisch. Die New York Times erwähnte immerhin, dass eine al-Qaida-Filiale »nördlich des Mittelmeeres« bisher nicht in Erscheinung getreten war. Dafür zitierte sie, wie alle anderen auch, Merles Artikel: Slain Lawmaker Lutfi Latif had been threatened by radical Islamists, German magazine Globus reported earlier this month. Lutfi Latif – ein Attentat mit Ansage. Und hatten sie etwa nicht recht? Welchen Unterschied macht es schon, ob es einen Auftrag gab? Ob jemand ein Mitglied von irgendetwas ist, das sich ja ohnehin kaum fassen lässt?
    Samson stand auf und ging zu dem winzigen Velux-Fenster, um ein wenig Luft in den Raum zu lassen. Er hatte nicht gemerkt, wie viel Zeit vergangen war. Es war schon fast Nacht.
    Der Unterschied ist, dachte er, dass dieser Gedanke die Tore der Hölle öffnet. Denn er funktioniert auch andersherum. Und dann ist der Abu, den die Pakistaner mir an einem abgelegenen Militärflughafen mit blauen Flecken übersät und mit einem Sack

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