Radikal
seine formvollendet gemurmelte Frage: Whiskey oder Barolo? Schließlich die hübsche Brünette mit den guten Manieren und der schneidenden Stimme: »Ach, und Sie glauben denen?«
»Ich kann meinen Bürokollegen seit gestern Abend nicht erreichen«, sagte Sumaya unvermittelt, während er noch seinen Gedankenfetzen nachhing.
»Deinen Bürokollegen?«
»Außer mir arbeitet noch jemand in Lutfis Büro. Ich wollte gestern Abend mit ihm besprechen, was zu tun ist. Ich meine, das war auch so eine Sache, ich war gerade erst bei Fadia raus, da kriegte ich schon so eine Scheiß- SMS von der Fraktionsführung, herzliches Beileid, aber natürlich müsse man jetzt überlegen, wann man eine Trauerfeier organisieren kann. Ich wollte das nicht machen. Ich will das auch nicht machen. Also habe ich Cord angerufen, weil der sowieso fürs Organisatorische zuständig ist. Fünfmal habe ich’s versucht. Nichts. Ich habe ihn auch heute Morgen schon angerufen, jetzt gerade: wieder nichts. Das Handy ist aus. Das ist doch komisch.«
»Ja, klar. Aber es ist Wochenende. Vielleicht macht er sein Handy dann immer aus. Und jetzt hat er vergessen, es einzuschalten. Oder er macht eine Kanufahrt in Polen und hat keinen Empfang und noch gar nichts mitbekommen. Vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung. Er meldet sich bestimmt.«
»Du weißt nicht, wie er mit vollem Namen heißt, oder?«
»Nein. Wieso?«
»Munkelmann. Cord Munkelmann.«
»Scheiße.«
»Genau.«
»Wieso hast du mir das nicht schon im Badeschiff erzählt?«
»Weil ich nicht wusste, ob Cord überhaupt eine Verwandte oder Ehefrau oder was auch immer namens Gisela hat. Ich weiß es immer noch nicht.«
»Sumaya, während du Frühstück gemacht hast, hat sich ein Freund bei mir gemeldet, ich treffe mich in einer Stunde mit ihm.Er arbeitet beim Verfassungsschutz. Er hat mir geschrieben, dass er neue Informationen über Gisela Munkelmann hat.«
Sumaya, die gerade von ihrem Toast hatte abbeißen wollen, ließ das Brotstück langsam wieder sinken. »Samuel, spinnen wir?«, fragte sie leise.
»Ich weiß es nicht. Aber ich will es wissen, verstehst du? Ich muss es wissen.«
»Ja. Ich auch.«
Sie frühstückten wortlos zu Ende und verabredeten sich für später am Tag bei Fadi, den Sumaya anschließend besuchen wollte und den er offenbar kennenlernen sollte, auch wenn sie es nicht aussprach; an der Wohnungstür schrieb sie ihm Fadis Adresse auf einen Zettel. Soll ich sie zum Abschied küssen oder nicht?, fragte sich Samson. Entweder es funktioniert, oder es funktioniert nicht. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, und Sumaya ließ es geschehen.
***
Samson nahm die überirdisch fahrende U1 bis zur Warschauer Straße, stieg dort in die S-Bahn um und fuhr zum Alexanderplatz. Kai hatte ihn in die Lobby eines in einem Hochhaus untergebrachten Hotels direkt am Alexanderplatz bestellt; kaum dass er durch die Drehtür gegangen war, erblickte er seinen ehemaligen Mitbewohner auch schon. Kai sah gehetzt aus. Seine Lippen bildeten einen schmalen Strich. Er hatte sich in einen alten braunen Cord-Anzug gequetscht.
Kein Lächeln zur Begrüßung. Stattdessen forderte er Samson sofort auf, ihm sein Handy zu geben.
»Wieso das denn?«
»Später. Komm jetzt.«
Kai ging zur Rezeption, betätigte die altmodische Klingel mit einem schnellen Hieb der flachen rechten Hand und gab dem Rezeptionisten ihre beiden Handys und einen Zehn-Euro-Schein. Dann steuerte er zügig auf den Ausgang zu. »Komm mit!«
Samson trottete hinterher. Kai überquerte den Alexanderplatz, der einigermaßen menschenleer vor ihnen lag. Vielleicht lag es daran, dass die Kaufhäuser gerade erst geöffnet hatten, dachte Samson. Oder die Menschen haben Angst vor einem weiteren Anschlag. Kai betrat das Riesenkaufhaus Alexa, einen fleischfarbenen Schuhkarton, der in seiner Hässlichkeit selbst in Berlin unüberboten war, was allerdings nur für das Äußere galt, denn im Inneren handelte es sich um einen auf edel getrimmten Konsumtempel, in dem bestimmt an allem gespart worden war, nicht aber an erhabenen Messinglettern, die noch der letzten Filiale einer profanen Drogeriekette einen Hauch von Exklusivität andichteten.
Kai lief mit Samson im Schlepptau einmal durch den MediaMarkt, wo er minutenlang einige glänzende Toaster von allen Seiten begutachtete und dabei immer wieder hochhielt. Samson war mittlerweile klar, dass Kai sichergehen wollte, dass sie nicht beschattet wurden. Also wählte er einen anderen Gang als Kai,
Weitere Kostenlose Bücher